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Normalismustheoretisches Wörterbuch zur Krise von 2008

Agenda 2010:
Maßnahmen zur schockartigen, aggressiven Steigerung der Profitrate durch Entlastung der Unternehmen, d.h. durch aggressive Senkung des Lebensstandards von Arbeitslosen, anderen Armen und Lohnabhängigen. Die Agenda 2010 war direkt an der Blase des Kriegsbooms 2003-2008 beteiligt, weil die Märkte die Steigerung der Profitrate spekulativ vergrößerten, was seinerzeit durchaus rationales Verhalten war.

aggressiv:
insbesondere nicht-normale (notständische) Maßnahmen zur Stabilisierung, also zur Normalisierung der Profitrate. Beispiel Maßnahmen auf der Basis des Paulsen-700 Millarden-Dollar-Ermächtigungsgesetzes und des deutschen Steinbrück-500 Milliarden-Euro-plus-Ermächtigungsgesetzes vom Oktober 2008.

antagonistisch:
nicht durch Kompromiss lösbarer Konflikt.

Aufschwung:
erste Phase eines neuen Konjunkturzyklus, gekennzeichnet durch wachsende Profitrate, was zur Selbstverstärkung (Aufwärtsspirale) führt. Dabei ist eine starke Expansion des Kredits das entscheidende Instrument. Eine solche starke Expansion ist also rationales Verhalten.

Aufschwung kommt an bei den Menschen:
Weisheit von Angela Merkel.

Blasen:
symbolisch »exponentielles« Wachstum des Kreditmarkts auf der Basis einer mittelfristig steigenden Profitrate. Dabei nimmt der Kreditmarkt eine weitere Steigerung vorweg. Unter dem Konkurrenzprinzip ist das ganz rational und keineswegs irrational. Wann die Profitrate einknickt, ist nicht vorhersehbar.

Blasen, diskursive:
der Interdiskurs der New Economy (Benchmark, Rating, Performance, Potenzial, Flexibility, High Risk Portfolio Management, Excellence & Co, innovativ, kreativ, free choice, unique opportunities, Chancen und Risiken, Marktkräfte, Märkte können das besser).

Bonität:
Der in Ratings mittels Verpunktung bestimmte »Leistungsgrad« eines Unternehmens (oder auch eines Staates: Normalitätsklassen) auf einer Skala. Danach schätzen die (Finanz-)Märkte die »Kreditwürdigkeit« ein. Kern der Bonität ist die geschätzte momentane bzw. künftige Profitrate.

Denormalisierung:
fundamentaler Verlust von Normalität. Führt zu Verunsicherung und Verlust des Vertrauens. Denormalisierung ist in allen Normalfeldern (Sektoren) der Gesellschaft möglich (Wirtschaft, Sozialverteilung, Politik, Recht, Militär, Technologie, Medienkultur, Sexualität und sonstige Subjektivität). Eine schockartige Denormalisierung in einem Sektor tendiert dazu, andere Sektoren ›anzustecken‹. Der Crash vom Herbst 2008 ist eine solche schockartige Denormalisierung und wird daher weitere Denormalisierungen auslösen, mit dem Risiko einer mittel- oder langfristig irreversiblen Denormalisierung.

Denormalisierung, mittel- oder langfristig irreversible:
Im zeitlichen = diachronischen = historischen Prozess des Normalismus folgen auf normale Phasen tendenziell periodisch = zyklisch Denormalisierungen. Ist der Gesamtverlauf normal, können diese periodischen Denormalisierungen relativ kurzfristig wieder normalisiert werden. In historischen Ausnahmefällen versagt die kurzfristige Normalisierung, so dass eine historisch mittel- oder langandauernde Phase mit Verlust von Normalitäten eintritt (das bisher ernsthafteste Beispiel ist die Phase 1914-1945). Der ökonomische Aspekt einer solchen langen Denormalisierung wird als Depression bezeichnet (1929-1939). Er ist durch eine lange Zeit im Keller verweilende Profitrate gekennzeichnet.

Depression:
Denormalisierung, mittel- oder langfristig irreversible.

Deregulierung:
Aufhebung von Regulierung zum Zweck der Steigerung der Profitrate. Impliziert also stets ein hohes Risiko von Denormalisierung.

eingepreist:
Börsenjargon für bereits im Kurs berücksichtige good oder bad news.

Entlastung der Unternehmen:
politische (staatliche) Maßnahmen zur Steigerung der Profitrate (z.B. durch Steuersenkung, Senkung der Sozialabgaben; Musterfall: Agenda 2010).

Ermächtigung:
Notstand, Notstandsregierung. Macht einer politischen Instanz, diktatorisch nicht-normale normalisierende Maßnahmen zu ergreifen. Aktuelles Beispiel Ermächtigung für Paulson auf der Basis des 700-Milliarden-Dollar-Bailout-Notstandsgesetzes und für Steinbrück auf der Basis des 500-Milliarden-Euro-Bailout-Notstandsgesetzes vom Oktober 2008, Werte von Bankanlagen festzusetzen und die Profitraten von Banken durch staatliche Übernahme von Schulden und durch Manipulation der Bilanzierungsregeln zu erhöhen. Der Unterschied zum klassischen Fall des Ermächtigungsgesetzes für Hitler 1933 liegt darin, dass die heutigen Ermächtigungen sektoriell und zeitlich begrenzt sind, während Hitler pauschal, global und zeitlich unbegrenzt ermächtigt wurde.

Erträge:
Deckname für Profit (Profitrate).

fair:
fairer Wert einer Aktie; schüchtern-sportliche Propaganda von »Analysten« für Aktienkäufe im Crash. Darin steckt die hilflose Behauptung, die Märkte spielten unfair, wenn sie crashen.

Gewinnaussichten, gute/schlechte:
Prognose einer steigenden/fallenden Profitrate.

Gier (engl. greed):
Hilflose Personalisierung und Moralisierung der Übertreibungen der Märkte. S. auch Spekulanten.

Hand, Geld in die H. nehmen:
in der Krise proliferierende Formel des populären Sektors des mediopolitischen Diskurses (Künast: »Dann müssen wir eben nochmal richtig Geld in die Hand nehmen«). Könnte unfreiwillig prognostisch sein: Falls auch noch Inflation kommt, werden wir dicke Bündel Geld in die Hand nehmen können.

Hysterie:
Verunsicherung.

Intransparenz:
Gegenteil von Transparenz, also Geheimregime. Während Steinbrück nach Transparenz schreit, verfügt sein von Ackermann beratenes Ermächtigungsgesetz die strikte Geheimhaltung konkreter Einzelheiten der Transaktionen unter dem Gesetz.

irrationales Verhalten:
in Zeiten der Denormalisierung hilflose nachträgliche Bezeichnung für rationales Verhalten während einer Phase steigender Profitrate. Oder hilflose Bezeichnung für Panik bei Verunsicherung, deren wichtigste Ursache in dem hohen Zeitdruck in einer Phase plötzlicher Denormalisierung liegt.

Kapitalismus:
Industrialismus, dessen »systemische« Subjekte (s. auch Märkte) autonome hochtechnologische Großunternehmen sind (egal ob privat oder staatlich) und deren Einzel- und Gesamtverhalten durch das Prinzip der monetären Konkurrenz um eine maximale Profitrate geregelt wird.

Konkurrenz:
Grundprinzip des Kapitalismus, bei dem die Gesamtheit der Wirtschaftsentwicklung kontingent von den Investitionen autonomer Einzelkapitale (ob privat oder staatlich, ist egal) abhängt. Tiefenstrukturell geht die Konkurrenz um die beste Profitrate. Konkurrenz impliziert zwingend gegenseitige Geheimhaltung der jeweiligen Einzeldaten, impliziert also zwingend Intransparenz.

Konsolidierung:
Deckname für negative Ereignisse im Kapitalismus wie Pleiten, Crashes, soziales Kaputtsparen des Staates u.ä.

Kriegsboom 2003-2008:
der heute fälschlich als irrationales Verhalten kritisierte und angeblich übertriebene Börsenboom, der durch den Irakkrieg ausgelöst wurde. Das Paket von real mindestens etwa 1 Billion Dollar der Bush-Regierung für den Krieg versprach durch die sichere Nachfrage des Staates nach Rüstung und insbesondere nach ICT-Produkten in den neuesten Waffensystemen eine stark steigende Profitrate. Diese Ankurbelung führte insbesondere zu einem neuen ICT-Boom und zu einem Konsumboom, besonders auch bei Immobilien, der wiederum vom Finanzkapital prognostisch (= spekulativ, Spekulanten) vergrößert und verlängert wurde, was seinerzeit durchaus rationales Verhalten war. Man hatte Vertrauen auf Staatsintervention (in Gestalt von Aufträgen), genauso wie man in der Krise vom Herbst 2008 wieder Vertrauen auf Staatsintervention hat.

Lohnzurückhaltung:
freiwillige Maßnahmen der Gewerkschaften zur Steigerung der Profitrate der Unternehmen.

Marge:
Deckname für Profit bzw. Profitrate.

Märkte, die:
die Mechanismen des Kapitalismus, die seine eigentlichen Subjekte sind. Werden im normalistischen Interdiskurs deshalb mit personalen Subjekten verwechselt: sind euphorisch, jubilieren, haben Angst, geraten in Panik, verlieren (nicht) die Nerven, spielen verrückt (Verrücktspielen), atmen durch, beruhigen sich, fassen wieder Mut.

Nerven, nicht die N. verlieren:
Tugend des Durchhaltens des deutschen soldatischen Mannes noch im Systemkollaps, erprobt in zwei Weltkriegen. Typische Tugend des Protonormalismus.

news, good ones/ bad ones:
Informationen, die den Börsen als Orientierung für Kauf oder Verkauf von Aktien dienen. Sie beziehen sich im Kern auf die Profitrate (Gewinnaussichten). Unter normalistischem Aspekt handelt es sich meistens um statistische Daten (vor allem Daten über Gewinne/Verluste, außerdem z.B. Konjunkturdaten).

Militarisierung:
klassisches Mittel zwecks notständischer Normalisierung der Profitrate (große Nachfrage aus öffentlichen Kassen für Unternehmen mit sinkender Profitrate). Bestes Mittel zur Legimation sehr starker Militarisierung ist Krieg. Der äußeren Militarisierung entspricht eine Militarisierung der Subjektivitäten (Produktion »soldatischer Männer«: Protonormalismus).

Normalisierung:
Wiederherstellung einer verlorenen Normalität.

Normalismus:
kulturelles Regime, das das notwendige Gefühl von Sicherheit in modernen Gesellschaften durch Herstellung von Normalitäten in möglichst allen gesellschaftlichen Teilbereichen produziert. Normalitäten beruhen auf Verdatung und sind durch symbolisch gaußoide statistische Verteilungen in der Synchronie (Verteilungen mit starker Mitteltendenz = Durchschnittlichkeit und ausgedünnten Extremen) sowie durch eine Kette von logistischen Kurven (gelängten S-Kurven) in der Diachronie (endlos wachsende Schlange des Wachstums) gekennzeichnet. Historisch lassen sich zwei polare Strategien des Normalismus unterscheiden: Protonormalismus und flexibler Normalismus.

Normalismus, flexibler:
Nach dem Zweiten Weltkrieg in den reichen westlichen Ländern vorherrschende neue diskursive Strategie des Normalismus, die durch maximale Breite des Spektrums der Normalität, also Inklusion und Integration möglichst vieler im Protonormalismus als anormal betrachteter Verhaltensweisen bzw. entsprechender Gruppen (wie Homosexualität, Behinderte, ethnische Minderheiten) in die Normalität sowie durch poröse Normalitätsgrenzen gekennzeichnet ist. Auch der flexible Normalismus bewahrt aber Grenzen gegen ›extreme Anormalität‹ (wie Kinderschändung, Inzest, Terrorismus, Amoklauf usw.). Wirtschaftlich geht der flexible Normalismus mit breiteren Korridoren der Normalität und mehr Lust am Risiko einher. In Zeiten der Denormalisierung verstärken sich Konflikte zwischen rigidem Protonormalismus und flexiblem Normalismus. Dabei sind die Massenmedien das wichtigste Schlachtfeld. Dort entstehen Kämpfe um diskursive Blasen, Übertreibungen der Spaßkultur; der Protonormalismus fordert Schluss mit lustig. So wurde z.B. auch der Kampf zwischen McCain und Obama durch den Crash konnotativ zu einem Kampf zwischen dominantem Protonormalismus (soldatischer Mann) und dominantem flexiblem Normalismus (ethnische Minderheit und Herkunft aus einer unteren Normalitätsklasse) ›umkodiert‹.

Normalismus und Kapitalismus:
Normalismus ist im Prinzip unabhängig, ist nicht einfach eine »Ableitung« von Kapitalismus. Auch andere denkbare Formen von Industrialismus würden Regime der Verdatung und Um-Verteilung benötigen. In der westlichen Moderne ist aber über lange historische Zeiträume (seit ca. 1800) eine enge, unlösbare Kombination zwischen Kapitalismus und Normalismus entstanden. Dabei liegt das (möglicherweise antagonistische) Problem darin, dass der Kapitalismus notwendigerweise das »normale« (um einen Durchschnitt) Schwanken der Profitrate nicht in einem normalen Korridor begrenzt halten kann und statt dessen sowohl nach ›oben‹ wie nach ›unten‹ »übertreiben« muss (Übertreibungen). Beides löst Denormalisierungen aus, die also notwendig zyklisch auftreten. In seltenen Fällen kann es zu einer mittel- oder langfristig irreversiblen Denormalisierung (Depression) kommen.

Normalität der Profitrate:
Profitrate innerhalb des Korridors der Normalität, d.h. des langfristigen Durchschnitts.

Normalität, Korridor der:
Mantelbereich der Kurve des normalen Wachstums, der dieses Wachstum nach oben und nach unten vor dem Ausscheren bewahren soll, das zur Denormalisierung führen würde. Wenn also das normale Wachstum z.B. bei 4 Prozent läge, könnte der Korridor unten bei 1 und oben bei 7 Prozent angenommen werden (bloß als Beispiel). Der entscheidende Faktor jedes Wachstums im Kapitalismus (auch z.B. des ökologischen) ist die Profitrate.

Normalitätsklassen:
Fünf globale Zonen mit deutlich verschiedenen Standards an Normalität (grob gesehen, mit den 4 bzw. 5 »Welten« identisch, wobei die »3. Welt« sich dreiteilt in »Schwellenländer«, durchschnittliche 3. Welt und »least developed countries«). Die 5 Normalitätsklassen unterscheiden sich ökonomisch durch differentielle Bonitäten, weshalb die Risikoaufschläge bei Anleihezinsen von 1 nach 5 erheblich steigen. Diese verschiedenen Standards von »Normalität« werden von der 1. Klasse aus gesehen. »Objektiv« herrscht in der 4. weitgehend und in der 5. durchgängig keinerlei Normalität – dort ist die Denormalisierung strukturell und chronisch. Ganz sicher gilt die Prognose, dass unter der aktuellen Krise am stärksten die unteren Normalitätsklassen leiden werden.

Not am Mann:
im Kern Not am soldatischen Mann (Protonormalismus). Legitimiert Notstandsmaßnahmen (Notstand). s. auch Not kennt kein Gebot.

Notfall:
Notstand.

Not kennt kein Gebot:
Volksweisheit.

Notleiden (eines Kredits, einer Bank, eines Unternehmens):
Normalität der Profitrate.

Notstand:
= Ausnahmezustand. Politische (staatliche) Erklärung eines mittel- oder langfristigen Zustands der Denormalisierung. Gestufte Optionen von Suspendierung von verfassungsmäßigen normalen Rechten und Verfahren parlamentarisch-demokratischer Kon-trolle. Ermächtigung des Souveräns im Sinne Carl Schmitts zu nicht-normalen normalisierenden Maßnahmen.

Notstandskoalition, Große:
in der Bundesrepublik Deutschland zwar nicht verfassungsmäßig, aber de facto vorgesehener Typ von Notstandsregierung.

Notstandsregierung:
Regierung, die während einer Phase von mittelfristig irreversibler Denormalisierung über Ermächtigung verfügt.

Pakete:
Verwandlung von kollektivem Eigentum (Steuergeld) in Privateigentum durch einfaches Geschenk mit dem Ziel der Hebung einer kollabierten Profitrate.

Panik:
durch das Konkurrenzprinzip erzwungener schockartiger Preissturz, der der Anpassung an eine erwartete starke Abnahme der Profitrate dient. Ist stets Symptom von Denormalisierung.

Potenzial:
Wette von »Analysten«, dass eine Aktie demnächst um einen bestimmten Prozentsatz steigen wird.

Profitrate:
des Pudels Kapitalismus Kern. Prozentuale Rate des Profits auf das investierte Kapital (return on capital). Im Irakkriegsboom und der Zeit der Agenda 2010 ›explodierte‹ die Profitrate. So setzte etwa die Deutsche Bank eine Benchmark von 25 Prozent und Bertelsmann eine Benchmark von 15 Prozent (jährlich!) fest – alles weit über dem langjährigen Durchschnitt, also der normalen Profitrate. Von der erwartbaren Profitrate (Gewinnaussichten) hängt im Kapitalismus alles ab, weil sie die Investitionen steuert. Sie wird deshalb nie öffentlich beim Namen genannt und diskutiert. Die Konkurrenz um die höchste Profitrate zieht das jeweils ›freie‹ Kapital tendenziell in die jeweiligen Spitzenbranchen (z.B. neue Technologien), was nicht bedeutet, dass sämtliches Kapital dorthin gehen kann (»Traditionsunternehmen« der jeweiligen Branchen, Fixierung des Kapitals durch Investitionen). Die normale (durchschnittliche) Profitrate stellt sich immer erst ex post heraus. Wer strukturell weit darunter fällt, bekommt game over.

Protonormalimus:
normalistische Strategie, die enge und starre Normalitäten und massive Normalitätsgrenzen vorzieht (typisch: die puritanisch-kleinbürgerliche Sexualmoral). Typisch auch alle »Zero-Tolerance«-Taktiken. Auf der Ebene der Subjektivierung entspricht dem Protonormalismus der autoritäre Charakter und der soldatische Mann.

Rating:
qualitativ-quantitative Bewertung von Unternehmen, Staaten oder anderen Einheiten nach ihrer »Leistung« auf einer Skala durch eine Agentur. Normalistisch ist dabei die teils statistische Grundlage, die durch fiktive »Schätzungen« und »Setzungen« (d.h. Verpunktungen) ergänzt wird, und die grobe Dreiteilung in supernormal (»Excellence«), normal (durchschnittlich) und subnormal. Dieses normalistische Verfahren dient der Börse als »Orientierung« für Engagements (Spekulanten). Rating ist im Normalismus interdiskursiv allgegenwärtig: So können auch Kinder, Schüler, Studierende, Lehrende, Mütter, Beamte usw. geratet werden (mit Tests und fiktiven »Schätzungen«: Verpunktung). Im Crash von 2008 beschwerten sich Kunden und Manager von Fonds über das Rating der Agenturen, das »übertrieben« habe (Übertreibungen).

rationales Verhalten:
im Kapitalismus ein Verhalten, das dem Gesetz der Konkurrenz um eine maximale Profitrate folgt. Besonders in Zeiten der Denormalisierung verwechselt mit einem Verhalten, das lediglich eine normale Profitrate bezwecken würde: Da die Normalität (der Durchschnitt) stets erst nachträglich bestimmbar ist, hätte ein solches Verhalten gar keine Daten (Verdatung) zu seiner Orientierung, ist also unmöglich.

Realwirtschaft:
im Unterschied zur Finanzwirtschaft Gesamtheit der Unternehmen, die ihren Profit durch eine Zwischenphase materieller Produktion erzielen (während die Finanzunternehmen ihren Profit scheinbar durch bloße Geld-Transaktionen erzielen). Im Faschismus als »schaffendes Kapital« im Gegensatz zum (»jüdischen«) »raffenden Kapital« bezeichnet. In Wirklichkeit ist das Finanzkapital eine ebenfalls systemnotwendige Zwischenphase der Realwirtschaft, und umgekehrt ist das Produktionskapital eine notwendige Zwischenphase für viele Transaktionen des Finanzkapitals – beide sind als Märkte unlöslich integriert, beide sind gleichermaßen »realexistierender Kapitalismus«. Insofern sind die »Blasen« immer auch Blasen der Realwirtschaft, eine Abkopplung ist völlig illusionär, das Finanzkapital ist absolut keine »Irrealwirtschaft«.

Regulierung:
politische, staatliche Maßnahmen (z.B. Gesetze, Verordnungen) zwecks Normalisierung. In der Wirtschaft sollen Regulierungen dafür sorgen, dass das Wachstum und insbesondere das Wachstum des Profits in einem Korridor der Normalität bleibt, das heißt nicht in symbolisch exponentielles Wachstum nach oben oder in Stagnation oder Rezession nach unten ausartet.

Rendite:
Deckname für Profit.

Schmitt, Carl:
Theoretiker des Souveräns und Begründer der These, dass alle politische Normalität aus einer Selbst-Ermächtigung des Souveräns stamme, welche Wahrheit in Zeiten der Denormalisierung an den Tag komme.

Souverän:
nach Carl Schmitt jene Instanz, die (im Falle mittelfristig irreversibler Denormalisierung) tatsächlich über Ermächtigung verfügt. Notstandsregierung.

Spekulanten:
pejoratives, moralisierendes Deckwort für euphorische Märkte im Aufschwung.

Stabilisierung:
Normalisierung.

Stabilität:
höchster Wert in kapitalistischen und normalistischen Gesellschaften, dessen Wesenskern Normalität ist. Merke: Im Konflikt- oder Zweifelsfall geht Stabilität unbedingt vor Demokratie.

Transparenz:
im Normalismus Konsequenz von Verdatung, im wesentlichen also statistische Transparenz. Dabei gibt es einen möglicherweise antagonistischen Konflikt zwischen Kapitalismus = dem Recht der Unternehmen bzw. Märkte auf Geheimhaltung wichtiger Daten (z.B. Profitrate) und Normalismus. Insofern ist die Forderung nach mehr Transparenz eher eine diskursive Blase.

Übertreibungen:
Ausschläge von Daten nach oben außerhalb des Korridors der Normalität. Dabei handelt es sich um reine Folgen von Marktmechanismen (Märkte), die im mediopolitischen Diskurs fälschlich personalen Subjekten als Schuld angerechnet werden (Gier, Spekulanten).

Verdatung:
grundlegend neues kulturelles Regime moderner Gesellschaften, gekennzeichnet durch flächendeckende statistische Selbsttransparenz. Auf der Basis von Verdatung können Normalitäten und Denormalisierungen bestimmt sowie mittels Um-Verteilung Normalisierungen durchgeführt werden.

Verpunktung:
Normalistisches Verfahren der Verdatung qualitativer Phänomene. Obwohl sie nicht gemessen werden können, werden die Phänomene (wie z.B. Schülerleistungen) mittels Verfahren wie Tests und fiktiven Schätzungen auf eine quantitative Punkte-Skala reduziert. Berühmter Fall das Rating.

Verrücktspielen (der Märkte):
irrationales Verhalten.

Ver-Sicherung:
Gefühl der Sicherheit im Normalismus. Wird durch Normalitäten produziert. Schlägt bei Denormalisierung um in Verunsicherung.

Verstaatlichung:
im Kapitalismus vorübergehende Übernahme eines Unternehmens mit geringer Profitrate durch die »öffentliche Hand« mit dem Ziel, die Profitrate mit dem Einsatz von Kollektiveigentum (Steuergeld) zu normalisieren und das Unternehmen dann dem Privatkapital zurückzugeben.

Vertrauen, Verlust des:
Verunsicherung.

Verunsicherung = Ver-Un-Sicherung.
Gegenteil von Ver-Sicherung. Zutreffende, realistische Einsicht in Denormalisierung. Zutreffende, realistische Einsicht, dass »wir nicht (mehr) in normalen Zeiten leben«. Also keinesfalls = Hysterie.

Volatilität:
hohe Ausschläge von Daten in einem Normalfeld beiderseits des Korridors der Normalität, bis hin zu statistischen Ausreißern.

Volatilität, lang anhaltende:
Volatilität. Symptom von Denormalisierung.

Wachstum, exponentielles:
im Sinne von symbolisch (nicht mathematisch) exponentiell. Gemeint ist eine Wachstumskurve, deren Steigungswinkel wächst. Ein solches Wachstum kann nicht anhalten, ist also symptomatisch für drohende Denormalisierung. Im Kapitalismus kann der Zeitpunkt der Übertreibung aber nicht bestimmt werden, weshalb alle Warnungen vor Blasen bisher noch nie die nächste Krise verhindert haben.

Wachstum, normales:
langfristig durchschnittliche Wachstumsrate eines Normalfeldes (z.B. Produktion, Handel, Konsum, Lebensstandard, sexuelle Befriedigung u.a.).

Wettbewerb, fairer:
Deckname für Konkurrenz.