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Durchwursteln und Durchhalten
TAZ und FAZ Anfang 2010 zum Krieg in Afghanistan
Margarete Jäger / Siegfried Jäger
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Nichts ist gut in Afghanistan, meinte eine Bischöfin, und musste dafür viel Kritik einstecken. Und nichts oder fast nichts ist gut in den Medien, wenn sie zum Einsatz des Militärs in Afghanistan berichten und kommentieren. Im Folgenden sollen die Ergebnisse einer kursorischen Diskursanalyse der Berichterstattung über den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr in der TAZ und FAZ für die Zeit vom 28.Dezember 2009 bis 24. Februar 2010 vorgestellt werden. Von wenigen Ausgaben abgesehen erschienen in beiden Zeitungen täglich Berichte und Kommentare; in der TAZ über 70, in der FAZ 92, so dass man von einer umfassenden Berichterstattung sprechen kann. Während die TAZ mit einer Vielfalt von Textsorten aufwartet, ist die FAZ in dieser Hinsicht eintöniger: Neben einer Vielzahl von Meinungsartikeln finden sich hier vor allem solche Artikel, in denen der hegemoniale politische Diskurs referiert wird. Aus diesem Grund konzentriert sich die Analyse der FAZ auf Kommentare und geht nur in Ausflügen auf weitere Artikel ein, bei denen die FAZ durch Interviews oder Gastbeiträge ihre Berichterstattung zu akzentuieren suchte.
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Es waren vier Themen, die den Diskurs zu Afghanistan während dieser Zeit vor allem ausmachten:
• die Neujahrspredigt von Margot Käßmann vom 1.1.2010 in der Dresdner Frauenkirche und ihre politischen Reaktionen,
• die Aufnahme der Arbeit des Untersuchungsausschusses zu den Morden von Kundus
• die Vorbereitung der deutschen Politik auf die Londoner Afghanistan Konferenz Ende Januar
• die Großoffensive us-amerikanisch-geführter Truppen gegen die Taliban in der Provinz Helmand.
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Der Tendenz nach befürworten sowohl FAZ wie auch TAZ den Einsatz deutscher Soldaten und auch die Aufstockung des deutschen Kontingents. Sie folgen damit der Strategie von Barak Obama, die Sicherheitsprobleme in Afghanistan vor allem militärisch zu lösen: die Taliban sollen besiegt und das Land durch den Aufbau von Armee und Polizei in die Lage versetzt werden, seine Geschicke in die eigenen Hände zu nehmen. Eine Kritik an dieser Strategie, die darüber hinaus geeignet wäre, Obama im eigenen Land gegen den enormen Einfluss der US-amerikanischen Militärs den Rücken zu stärken, erfolgt nicht.
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Die Position der TAZ
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In der TAZ wird der Krieg zwar als »schmutzig« bezeichnet, (12.2.); aber dennoch als offenbar alternativlos hingenommen. Freilich beteiligt sich die TAZ an der Diskussion um die juristisch korrekte Beschreibung des Einsatzes, um die nach dem Massaker in Kundus in der Politik gestritten wird. Dass Deutschland am Hindukusch verteidigt werde, wie der ehemalige Verteidigungsminister Struck den militärischen Einsatz zu legitimieren suchte, ist nach dem Massaker von Kundus wohl nicht mehr aufrecht zu erhalten. Die politischen Entscheidungsträger und auch die TAZ sind sichtlich bemüht, eine neue Formel zu finden, die dem Grundgesetz nicht widerspricht und dem Kriegsvölkerrecht Genüge tut. Die TAZ vermeidet die Rede vom Krieg und spricht vom »Stabilisierungseinsatz« (12.1.2010), von »Aufstandsbekämpfung« (27.1.2010) oder vom »bewaffneten Konflikt« (9./10.1.2010). Sie schließt sich der beschönigenden Zauberformel von zu Guttenberg und Westerwelle an, mit der offenbar auf die Straffreiheit der verantwortlichen Militärs abgezielt wird.
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»Der Einsatz der ISAF-Kräfte auch im Norden des Landes sei als ,bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts zu qualifizieren.« Und weiter heißt es: »Diese Qualifizierung (Westerwelles als bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts) hat Konsequenzen für die Handlungsbefugnisse der Soldaten, der Befehlsgebung und für die Beurteilung des Verhaltens von Soldaten in strafrechtlicher Hinsicht.« (11.2.2010) Auch hier wird die Vokabel »Krieg« vermieden, wenn vom »humanitären Völkerrecht« gesprochen wird, statt vom Kriegsvölkerrecht, in dem es zudem heißt, dass dabei »größtmögliche Rücksicht« auf Zivilisten zu walten habe. Kundus mit den vielen getöteten Zivilisten kann natürlich nicht als besonders rücksichtsvoll dargestellt werden. Die Formel vom bewaffneten Konflikt stellt eine juristische Neubewertung dar, die nicht nur ahnen lässt, zu welchem Ergebnis der Untersuchungsausschuss zu Kundus gelangen wird: Oberst Klein soll aus der Schusslinie genommen werden. In ihrem Artikel vom 11.2. wird dieser als Biedermann vorgestellt, der – mit den Worten des SPD-Politikers Hans Peter Barteis gesprochen, – »in jener Nacht … in einer tragische(n) Situation .. . Verantwortung« trug. In einer wohl witzig gemeinten Anspielung heißt es denn auch in einer Artikelüberschrift: »Kundus wird auch in Berlin verteidigt« (10.2.). Man könnte dieses semantische Kunststück als vorweggenommenen Freispruch durch einen euphemistischen Zaubertrick bezeichnen. Sage uns keiner, dass Sprache nicht die Wirklichkeit verändere!
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Die in der Politik diskutierten Lösungsstrategien lesen sich in der TAZ wie folgt: Keine Lösung ist der Rückzug aus Afghanistan. Zur Aufstockung des Militärs gibt es keine wirkliche Alternative. Gewünscht wird eine Stärkung der afghanischen Armee. Sie sei die Voraussetzung dafür, dass die Afghanen ihr Land gegen die Taliban selbst verteidigen können und die westlichen Truppen nach Hause fahren können. »Übergabe der Verantwortung« wird dies genannt. (27.1.2010) Ein sogenanntes gut finanziertes Aussteigerprogramm für abtrünnige Taliban und damit eine Spaltung der Aufstandsbewegung werden von der TAZ durchaus Chancen eingeräumt. (15.1.2010) Gleichzeitig wird dieses Programm aber auch ironisiert. So erscheine am gleichen Tag ein Foto von Reuters, das einen vermummten und mit mehreren Mörsergranaten bewaffneten Menschen zeige. Die Bildunterschrift lautet: »Hallo Herr Taliban, können wir mal in Ruhe reden?«.
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Den Vertretern derartiger Lösungsvorschläge wird Naivität vorgehalten, wenn es heiße: »Zu glauben, viele Kämpfer könnten mit materiellen Anreizen überzeuge werden, die Seite zu wechseln, greife zu kurz – so simpel sind ihre Motive nicht.« (25.1.2010) Große Hoffnung auf einen Wendepunkt in der Entwicklung Afghanistans wird auf die Londoner Außenminister-Konferenz gesetzt. Dort sollte eine Strategie angezielt werden, die eine Übergabe der Verantwortung an die Afghanen ermögliche, die in Etappen geschehen solle. Auf der Tagesordnung stehe neben dem angesprochenen Aussteigerprogramm der Abbau von Korruption, eine Verbesserung der Entwicklungshilfe bei allem eine größere afghanische Mitsprache (27.1.2010): also nichts Neues. In einem Kommentar vom 29.1. ist denn auch die Rede vom »Gipfel des Scheiterns« und von einer »Veranstaltung von besonders fragwürdigem Wert.« Insgesamt wird der bisherige Afghanistan-Einsatz zwar als »gescheitert« angesehen, was in der Konsequenz für die TAZ aber dennoch nichts anderes bedeutet als ,Weiter so,. Einsichtig heiße es: »mehr Soldaten (haben) nachweislich nur mehr Krieg gebracht«. Es habe sich um »das letzte internationale Aufbäumen gegen die Taliban« gehandelt.
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Jetzt gehe es für die westlichen Regierungen nur noch um einen »ihrer Hoffnung nach gesichtswahrenden Abzug« aus dem Land. (1.2.2010) Ein wirklicher Strategiewechsel habe nicht stattgefunden. Wie der allerdings vonstatten gehen soll, bleibe auch in der TAZ ungeklärt. An eine wie auch immer geartete diplomatische Lösung wird kaum noch gedacht. Stichworte, die in Verbindung mit dem Afghanistanproblem längst diskutiert worden sind, ohne dass etwas geschehen wäre, werden auch von der TAZ aufgenommen: Verhandlungen ohne Bedingungen, Demokratieförderung, Korruptionsbekämpfung, Wiederaufbau, Schutz der Bevölkerung, Entwicklungshilfe, Verbesserung der Regierungsführung, Anknüpfen an die Monarchie König Sahir Schahs, der eine konstitutionelle Monarchie eingeführt habe und ein vorsichtiger Reformer gewesen sei etc. Erwähnt wird auch eine Dschirga, also eine traditionelle Ratsversammlung der afghanischen Stammesführer, was ja wohl dazu führen würde, den Traum von vor der englischen, russischen und Nato-Besatzung wiederzubeleben.
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Als allgemeine Perspektiven des Krieges werden angesehen: Einführung der Demokratie nach westlichem Vorbild, ein funktionsfähiger afghanischer Staat, aber auch ein nicht zu verhindernder Bürgerkrieg nach einem NATO-Truppenabzug, jedenfalls: Kein Sieg. Stattdessen unabsehbar lang andauernde militärische Präsenz in Afghanistan. Es herrsche insgesamt Rat- und Hilflosigkeit. Keiner der genannten strategischen Optionen schließe sich die TAZ an. Sie diskutiere alles, wäge ab, ironisiere, was zur Konsequenz hat, dass sie das heillose Durcheinander innerhalb der Politik noch einmal reproduziere. Der Kampf gehe also weiter. Die TAZ konstatiere »US-geführte Truppen bereiten sich auf Militäraktion gegen Taliban-Bastion in der Provinz Helmand vor. Zehntausende Bewohner der Kleinstadt Mardscha fliehen«. (9.2.2010) Es gab kaum Widerstand, teile die TAZ mit (15.2.2010) sowie: »Auch Zivilisten unter den Opfern« (ebd.) Die Bestimmung des Kriegsvölkerrechts, nach dem auf Zivilisten größtmögliche Rücksichten zu nehmen sind, werden hier nicht herangezogen.
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Es wird das Ziel dieser Aktion herausgestellt, die Taliban zu Verhandlungen zu zwingen und auf die Gesetzmäßigkeiten eines Guerilla-Krieges verwiesen. Jedoch drohten die Hoffnungen von heute ebenso wie in der Vergangenheit zu scheitern. (15.2.) Von einer Sackgasse, in der die NATO-Bemühungen stecken, ist allerdings nicht die Rede. Ganz zu schweigen von De-Eskalation und den möglichen Signalwirkungen, die ein Abzug zumindest der deutschen Truppen in diesem Zusammenhang setzen könnte.
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Breiten Raum nimmt in der TAZ die Berichterstattung rund um die Neujahrs-Predigt von Margot Käßmann ein, die bekanntlich Irritationen bei CDU, SPD, FDP und Bundeswehr hervorgerufen hätte (5.1.2010). Nachdem die Predigt zunächst als »Dampfplauderei« und »Radikalpazifismus« abgetan wird (5.1.2010), kommt eine Woche später Andreas Zumach zu Wort: Die Kritik von Margot Käßmann, so schreibt er, »ist differenziert und berechtigt.« (12.1.) Die Bischöfin wird gegen die Kritik der Politiker »von CDU bis Grünen« vehement verteidigt, die Käßmann als »ahnungslosen Moralapostel« diffamiert hätten. Diesen Kritikern wird »ein gestörtes Verhältnis zur Demokratie« attestiert.
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Dabei habe sie keineswegs einen »schnellen« oder »gar sofortigen« Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan gefordert sondern nur »einen erkennbaren Plan für den Abzug, eine Exit-Strategie« entwickelt. Besonders heftig wird der Grünen-Politiker Ralf Fücks kritisiert, der Käßmann vorgeworfen habe, die »Protestantische Verantwortungsethik« nicht ernst zu nehmen. Fücks habe sie aufgefordert, »Kriterien für einen legitimen Bundeswehreinsatz aus der Sicht der Kirche zu diskutieren.« Aber genau dies sei in einer Denkschrift der Kirche aber längst geschehen, wobei Käßmann darauf hingewiesen habe, dass sie deren Vorschläge zur Verantwortung zum Schutz vor Völkermord und schweren Menschenrechtsverbrechen für nicht (mehr) erfüllt ansehe.
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Leider bleibt ein so klarer und differenzierter Artikel in der TAZ, zumindest im Untersuchungszeitraum, die Ausnahme, zu der sich allein noch der Gastbeitrag Jürgen Todenhöfer (am 25.1.2010) gesellt (Der Beitrag erschien bereits in gekürzter Fassung am 6.1.2010 in der FAZ.) Dieser will »Alternativen zur aktuellen Kriegspolitik« entwickeln und konstatiert: »Für nichts schäme ich mich mehr als für unsere Beteiligung am Afghanistankrieg.« Mit Blick auf die stattfindenden Eskalationen betont er, dass in Afghanistan ein »Terrorzuchtprogramm« gefahren werde. (25.1.2010) Zwei Tage nach dem Artikel von Andreas Zumach erscheint (14.1.) ein ganzseitiger Brief des Grünen-Abgeordneten Winfried Nachtwei an Margot Käßmann, der ihrem Diktum »Nichts ist gut in Afghanistan« widerspricht und darauf beharrt, dass »die von Bundesregierung und Bundestag dorthin entsandten Soldaten, Entwicklungshelfer, Polizisten, Diplomaten die Aufmerksamkeit, die Anteilnahme und Unterstützung aller Bürgerinnen und Bürger verdient.« Es sei falsch, »den Gesamteinsatz der Bundeswehr als Kriegseinsatz zu bezeichnen.« Damit fällt Nachtwei im Grunde hinter zu Guttenberg und Westerwelle zurück und die TAZ bietet ihm dafür ein Forum zur Artikulation.
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Allerdings sollen kleinere Lichtblicke in der Berichterstattung nicht unterschlagen werden. So gibt es einen Beitrag zur Lethargie der deutschen Friedensbewegung, zu der, wie es erstaunlicher Weise heißt, »die Berichterstattung der Medien« beigetragen habe (20./21.2.2010). Auch der Kommentar mit dem anspielungsreichen Titel »Von Holland streiten lernen« (22.2.2010) ist herauszustellen. Die holländische Sozialdemokratie wird gelobt, weil sie das »Tabu« des Militäreinsatzes brach, auch wenn dadurch die Regierungskoalition den Bach runter gegangen ist. Dem wird die deutsche Situation entgegengehalten: Hier gehe es »um Kriegsführen«. Hier hätten es sich die »Interventionsbefürworter … nie getraut, eine sachliche und ergebnisoffene Debatte zu führen. Stattdessen gab es Dogmen.« Ein Ausbruch aus dem Konsens werde hier als »Verrat gebrandmarkt«.
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Die Bilder und Fotos, mit denen die Berichte und Kommentare der TAZ begleitet werden, setzen sich von der übrigen Berichterstattung nicht ab. Der größte Teil der Fotos ist eher verharmlosend bis hin dazu, dass die Situation romantisiert wird. So ist der ganzseitige Brief von Nachtwei vom 14.1.mit einem Reuters-Foto aufgemacht, das einen alten Afghanen im Bezirk Kundus zeigt, der deutschen Soldaten hilft, einen in den Graben gerutschten Transporter zu bergen – so die Erklärung der Bild-Unterschrift. Aus dem Foto selbst geht dies nicht hervor. Denn es zeigt nur einen alten Mann mit einer Schaufel in den Händen vor einer Lehmwand, der von zwei deutschen Soldaten beobachtet wird. Der Transporter ist nicht zu sehen. Dafür erfahren die Leserinnen aber, dass das Bild bereits im April 2009 aufgenommen wurde. Mittlerweile hat sich in Kundus bekanntlich die Situation verändert.
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Am 15.1.2010 posieren auf der Titelseite zwei afghanische vermummte (unbewaffnete) männliche Personen vor einem üppigen Baldachin und illustrieren so die Überschrift »Taliban werden salonfähig« (15.1.), womit auf das Aussteigerprogramm für Taliban ironisch hingewiesen wird. Andere Fotos vermitteln sogar Anflüge von Normalität in Afghanistan: gut gekleidete Frauen im afghanischen Parlament (18.1.2010), Guttenberg bei den Soldaten (22.1.2010), Ex-Talibane (25.1.2010), Familienbilder mit Afghanen (28.1.2010) ein einzelner weicher und (wegen des mangelnden Rückhalts in der deutschen Bevölkerung) gekränkter deutscher Soldat (22.1.2010). Die Grausamkeit der Taliban wird auch ins Bild gesetzt, wenn z.B. ein Afghane mit Kind auf dem Arm nach einem Taliban- Anschlag abgelichtet wird (26.1.2010). Nur eines der insgesamt 30 Fotos weicht von solcher fotografischen Gesundbeterei ab. Es zeigt einen verletzten Jungen, der auf einer Bahre zu einem Hubschrauber des Roten Kreuzes getragen wird (23.2.). Die Bildunterschrift macht klar, dass er »versehentlich« durch amerikanisches Gewehrfeuer verletzt worden sei.
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Die Berichte und Kommentare in der TAZ wirken zu Beginn des Jahres 2010 hilf- und alternativlos. Insofern tragen sie dazu bei, die militärische Strategie in den Köpfen der Leserinnen zu festigen und zu verankern: Binärer Reduktionismus. Darüber täuschen auch die wenigen differenzierten und am gerechten Frieden orientierten Artikel nicht hinweg.
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Die Position der FAZ
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Die politische Ausrichtung der Berichte über Afghanistan sowohl im Vorfeld der Londoner Sicherheitskonferenz wie auch in Bezug auf die Bewertung des Luftangriffs im September 2009 in der FAZ ist dagegen eindeutig und ziemlich einstimmig. Es wird eine Aufstockung der Kampftruppen gefordert, um die von Deutschland übernommenen Aufgaben zu erfüllen. Dabei wird sich positiv auf den amerikanischen Präsidenten bezogen. Die Entscheidungsträger in Deutschland werden massiv dazu aufgefordert, diese Strategie zu unterstützen und es ihr gleich zu tun. Das bedeutet, im FAZ-Diskurs ist die Eskalationslogik Grundlage aller Kommentare, Berichte und Reportagen. Im von uns gesichteten Zeitraum gab es hier nur einen Ausreißer: Jürgen Todenhöfer konnte in einem Gastbeitrag grundsätzliche Argumente gegen den Afghanistan-Krieg einbringen und dabei auch die militärische Logik des Einsatzes ansprechen. Er stellt fest: »die Kernfrage, ob Massaker wie in Kundus nicht logische Folge jedes Luftkrieges sind, wird [in Deutschland] nicht gestellt.« (6.1.2010) Doch das ist in der FAZ die absolute Ausnahme.
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Kritische Stimmen, also solche, die einen sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan fordern, wie die z.B. Margot Käßmann, werden als wirklichkeitsfremd und politisch naiv bezeichnet, die es sich »zu einfach« machen (11.1.2010). Die vermeintlichen Konsequenzen solcher Auffassungen werden drastisch beschrieben. In einem Gastbeitrag von Uwe Schünemann ist zu lesen: »Der von Frau Käßmann zumindest implizit geforderte rasche Truppenabzug aus Afghanistan würde den Taliban und dem Al-Qaida-Netz Auftrieb geben, die in Afghanistan und anderswo mit Gewalt ein islamistisches Kalifat errichten wollen und die westliche Sicherheit bedrohen« (11.1.2010). Dieser Beitrag kann übrigens als politischer »Ausgleich« zu dem Beitrag von Jürgen Todenhöfer gelten, so dass das politische Gleichgewicht in der FAZ zumindest formal wieder hergestellt ist.
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Doch zurück zu der Kritik an den Kritikern: Reinhard Bingener hält bereits die Rede vom »gerechten Frieden« in der Friedensdenkschrift der EKD für eine »verquaste Wortwahl« und die Schrift insgesamt für »wirklichkeitsfremde Rhetorik .. ., die in ihrem Eskapismus … Parallelen zur Linkspartei aufweist (13.1.2010). Die Selbstverständlichkeit, mit der in dieser Passage diffamierend die Linkspartei angesprochen wird, unterstreicht, dass deren Positionen für die FAZ völlig indiskutabel sind. Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass deren Einlassungen zu Afghanistan in der FAZ überhaupt nicht vorkommen, und das, obwohl ein Großteil ihrer Berichte den politischen Diskurs in Deutschland zu dieser Frage referieren. Dies trifft nicht auf die Haltung der und Diskussionen innerhalb der SPD zu, die harsch kritisiert werden. Mit deren Forderung nach einem »Zeitkorridor« von 2013 bis 2015, in welchem der Bundeswehreinsatz abgeschlossen werden sollte, stehle sie sich »aus der Verantwortung« und warte als »vom Wähler zerzauste Oppositionspartei mit einfachen Antworten auf.« Die Regierung wird ermutigt, die Anzahl der in Afghanistan stationierten Soldaten zu erhöhen, auch ohne Zustimmung der SPD. »Es wäre gut gewesen, dies gemeinsam mit den Sozialdemokraten zu beschließen. Aber es geht auch ohne sie« (23.1.2010).
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Fast gebetsmühlenartig wird in den Kommentaren »Realismus« gefordert. Dieser wird darin ausgemacht, dass sich die deutsche Politik für eine Verstärkung der Truppen entscheiden müsse. Dazu gebe es keine Alternative. Berlin müsse »auch im Hinblick auf seinen militärischen Beitrag Farbe bekennen.« Darin wird »Deutschlands Auftrag« ausgemacht. (7.1.2010). Es gehe darum, »den militärischen Einsatz zu erhöhen, um so ein Ergebnis zu erzwingen, das den Abzug ermöglicht.« Das versteht man dann unter »Realismus« (18.1.2010).
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Das Reden über eine »neue Strategie« in Afghanistan wird mit Argwohn beobachtet. Es diene »in der innenpolitischen Debatte oft genug nur als Ausflucht, um über den militärischen Teil des Engagements … nicht ernsthaft sprechen zu müssen. Deutschland hat im Norden des Landes einen Auftrag übernommen, und den sollte es .. . erfüllen« (7.1.2010). Es sei eine »Scheinlösung« anzunehmen, dass »ohne verstärkte ausländische Hilfe, auch militärische« in Afghanistan Sicherheit eintreten könne. (6.1.2010) Dabei sieht die FAZ durchaus die Schwierigkeiten, die Aufstockung der Truppen der Bevölkerung zu vermitteln. Ja, man hat den Eindruck, dass ihr publizistisches Engagement in dieser Frage offenbar davon geleitet ist, ihre Leserinnen darauf einzustellen, dass die Deutschen in Afghanistan, durchzuhalten, hätten. Die westlichen Regierungen – so ihr Appell im Kommentar »Jahr der Bewährung«»müssen diese Sache durchstehen; sie müssen ihren skeptischen Bevölkerungen auch sagen, was ein Scheitern bedeuten würde …. und sie müssen »Führungsstärke« zeigen (8.2.2010).
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Exemplarisch und typisch für die Argumentation der FAZ ist der Kommentar von Berthold Kohler, den dieser am 27.1.2010, also unmittelbar vor der Londoner Konferenz unter dem Titel »Der deutsche Weg«, veröffentlichte.
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1 // Er beginnt mit der Kritik an der politischen Klasse in Deutschland, nicht resolut zu handeln und gehandelt zu haben. Sarkastisch steigt er ein: »Wenn der Kampf um Afghanistan sich mit Vorschlägen entscheiden ließe, dann könnte Deutschland im Alleingang siegen«. »Nach Jahren des Wegsehens und Schönredens, ermöglicht auch durch das Desinteresse der Öffentlichkeit«, wolle man nun durch neue Konzepte den Einsatz zu Ende bringen, denn Deutschland sei des »unerklärten Krieges« in Afghanistan müde. Damit stehe Deutschland aber nicht allein. Der Westen will diesen »Feldzug« beenden.
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2 // Im zweiten Schritt wird an ein einheitliches Vorgehen des Westens appelliert – was zur Umsetzung resoluter Schritte natürlich immer nötig ist. Dabei gibt Amerika den »Takt für den Rückzug« vor. Es wolle den Einsatz »wenn schon nicht gewinnen, so doch auch nicht … verlieren.« Das sehen die Verbündeten »ausnahmsweise« ähnlich.
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3 // In einem dritten Schritt wird die Alternativlosigkeit des Verbleibens in Afghanistan eingeführt. Ein »sofortiger Abzug« komme für alle nicht in Frage«. Das sei erstens »Kapitulation« und würde zweitens den »Eifer der Dschihadisten« anfachen. »Afghanistan drohte zurück in Bürgerkrieg und Schreckensherrschaft zu stürzen, mit unabsehbaren Folgen für die ganze Krisenregion. Die gebrachten Opfer wären umsonst gewesen.«
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4 // Sodann wird eine realistische Zielstellung formuliert. »Vom Endsieg« träume keiner mehr. Doch ohne Seitenhieb auf den politischen Gegner geht es nicht: »Auch jene, die die Menschenrechte nicht in Knobelbechern, sondern in Jesus-Latschen dorthin tragen wollten, backten nur noch kleine Brötchen.« Vielmehr gehe es nur noch darum, die »Staatsmacht« in Afghanistan »so weit zu stabilisieren, dass das internationale Expeditionskorps abziehen kann, ohne dass am nächsten Tag alles kollabiert.«
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5 // Im fünften Schritt wird der deutsche Weg, der zu diesem Ziel führen soll, beschrieben und bewertet. Im Prinzip stimme Deutschland dem amerikanischen Konzept zu, »noch mehr Geld und Soldaten in die Waagschale zu werfen«. Mit dem Konzept der »vernetzten Sicherheit« sollen die »Gewichte noch stärker … in Richtung der zivilen Komponente« verschoben werden. Das sei alles nicht verkehrt. Aber: »Falsch war es, so lange mit der Verstärkung zu zögern.« Dadurch haben die Taliban eine Front im Norden errichten können, in deren Folge die Soldaten weitgehend mit der eigenen Absicherung beschäftigt seien. Deshalb sei die angekündigte Truppenverstärkung von 500 Mann »willkommen«. Doch werde es sich zeigen, ob die »feinsinnige … Unterscheidung von Kampfeinsatz und Ausbildung … aufrecht zu erhalten« sein werde.
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6 // Abschließend wird die Kritik an der politischen Elite nochmals wiederholt und die Alternativlosigkeit einer weiteren militärischen Intervention bekräftigt. Die Forderung der SPD nach einem Abzugstermin wird – wäre ihr nachgegeben worden – als »ein schwerer Fehler, militärisch wie politisch« bewertet. Die neue Strategie sei aber nur ein »Kompromiss zwischen dem, was … militärisch notwendig wäre .. ., und dem, was in Deutschland als politisch durchsetzbar gilt. Die nicht kleine Lücke dazwischen … füllen im deutschen Sektor die Amerikaner.« Der politischen Klasse wird somit weiterhin angelastet, nicht konsequent zu handeln. Weil es aber zur militärischen Aufrüstung keine Alternative gibt, müssten die Amerikaner nun für die Deutschen die Kohlen aus dem Feuer holen.
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Der Artikel enthält somit fast alle ständig in der FAZ vorgetragenen Argumente: Deutschland muss im Kreise der Weltmächte auch militärisch mitagieren. Die Verantwortungsträger werden kritisiert, dass sie sich davor drücken. Ein weiterer Themenstrang in der FAZ ist die Diskussion um die veränderte Bewertung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan. Die neue Sprachregelung, diesen als »nicht internationalen bewaffneten Konflikt« zu bezeichnen, wird von ihr sehr begrüßt, auch deshalb, weil dadurch die rechtliche Stellung der Soldaten verbessert werde. Im Gespräch mit Oberst Ulrich Kirsch, Vorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbandes, beklagt dieser, dass die »Kundus-Debatte … zur Schlammschlacht mutiert« sei. Er fordert mehr Rechtssicherheit und betont, dass »wir von der Einsatzrealität [weit] entfernt sind (FAZ v. 21.1.2010). In diesem thematischen Zusammenhang kommen in der FAZ auch Völkerrechtler zu Wort, die sich über die Bedingungen auslassen, unter denen ein gezieltes Töten in einem »extrem asymmetrischen bewaffneten Konflikt«, wie der in Afghanistan einer darstelle, möglich bzw. einzugrenzen sei (31.12.2009).
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Die Behandlung der neuen Sprachregelung in der FAZ trägt insofern zu einer Normalisierung des Krieges insgesamt bei. Es geht darum, die rechtlichen Bedingungen des bereits faktisch Vorhandenen nachträglich zu klären und festzulegen. Dadurch wird ein gegenläufiger Effekt, der durch diese Sprachregelung gleichfalls entstehen kann, zurückgedrängt. Schließlich kann die Rede von »bewaffneten Konflikten«, »kriegsähnlichen Zuständen« etc. die Öffentlichkeit auch darauf aufmerksam machen, dass die Intervention in Afghanistan völlig aus dem Ruder gelaufen ist, dass sie eskaliert und zu Verbrechen führen kann. Der FAZ- Diskurs untergräbt solche Effekte. Im Gegenteil. Dies unterstreicht nochmals die Argumentation eines Kommentars, der unter dem Titel »Opfer« am 23.2.2010 erschien.
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1 // Jeder Zivilist, der in Afghanistan zu Schaden kommt, ist einer zu viel. Solche Vorfälle führten den Taliban nur immer neue Rekruten zu.
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2 // »Diesen Rekrutierungsmechanismus« finden die Taliban natürlich gut. Sie tun deshalb alles dafür, dass die NATO nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern unterscheiden kann.
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3 // Also stehe der Oberkommandierende in einem Dilemma. Die Devise, »zivile Opfer unter allen Umständen zu vermeiden« und ein »asymmetrische[r] Krieg, in dem der Gegner keine Skrupel hat, … Zivilisten als Geiseln zu nehmen«, vertragen sich nicht miteinander.
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4 // Daraus folgt: »Wenn es das oberste Ziel der Nato ist, Opfer unter der Zivilbevölkerung zu vermeiden, kann sie diesen Krieg eigentlich nicht führen.«
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Was folgt daraus? Dieser Krieg muss beendet werden? Oder: zivile Opfer sind in Kauf zu nehmen? Im Kontext der FAZ-Berichte ist allein die zweite Option logisch.
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Kurzes Fazit der kursorischen Analyse
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Wir haben vor einigen Jahren anlässlich des NATO-Kriegs in Jugoslawien eine Diskursanalyse der damaligen Print-Medien-Berichterstattung unternommen. Dabei sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass die Berichte, Analysen, Bilder dazu geeignet waren, diesen ersten Krieg der Bundeswehr nach 1945, also ein eklatant denormales Ereignis, in die Normalitätszone zurück- bzw. einzuführen. (Vgl. dazu Margarete Jäger I Siegfried Jäger (Hg.) 2002: Medien im Krieg. Der Anteil der Printmedien an der Erzeugung von Ohnmachts- und Zerrissenheitsgefühlen, Duisburg: DISS)
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Zu Beginn des Jahres 2010 zeigt uns die Sichtung der beiden Medien FAZ und TAZ, dass sich diese Normalität hat weiter verfestigen können. Beide Medien sind befangen in der Eskalationslogik und weisen keinen Weg aus der Sackgasse. Da sind große Teile der deutschen Bevölkerung schon weiter, wenn sie sich gegen diesen Krieg der Bundeswehr in Afghanistan aussprechen. Dass es für Deutschland am Hindukusch nichts zu verteidigen gibt und mehr Soldaten mehr Tote bedeuten, leuchtet ihnen offensichtlich eher ein als Produzentinnen diskursmächtiger Medien.
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Erschienen in: Zeitschrift für angewandte Diskurstheorie, Kulturrevolution Nr. 58
Deklinierend Mohn und Drohnen: Afghanistan
Hg. von Jürgen Link & Rolf Parr
Mai 2010, 88 Seiten
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