clemens knobloch – „den westen wird es unter trump nicht mehr geben“

Clemens Knobloch

„Den Westen wird es unter Trump nicht mehr geben“

15. Nov 2016 / So betitelt der Züricher Tagesanzeiger am 11.11.2016 ein Interview mit Herfried Münkler zur Wahl des neuen US-Präsidenten. Zweifellos handelt es sich hier um eine der intelligenteren Schlagzeilen, denn wenn es eine Knalleffekt der US-Wahl gibt, dann sicherlich den, dass es die bewährte moralisch-universalistisch-demokratische Einheitsfront des Westens, die seit zwei Jahrzehnten einigermaßen mühsam die Abenteuer mit Namen Afghanistan, Irak, Somalia, Syrien, Libyen, Jemen, Arabellion, Maidan, Gezipark und einige mehr zusammengehalten haben, künftig nicht mehr geben könnte. So gesehen könnte man das diskursive (selbstverständlich nicht faktische!) Ende des Westens auf der Linken durchaus als erfreuliche Chance verstehen. Doch ach, die Verhältnisse, sie sind nicht so, sie sind im Gegenteil ganz anders. Der zeitliche Zusammenfall von Brexit und Trump-Präsidentschaft demonstriert augenfällig, dass sich der gute alte Westen zunächst auseinanderlegt in ein militärisch-finanzkapitalistisches (GB und USA) und ein europäisch-deutsches Segment. Und um dieses letztere geht es in besagtem Interview.

Münkler, bekannt als deutscher Europastratege, wiederholt zunächst die Formel, Europa sei bisher „der sicherheitspolitische Kostgänger der USA“ gewesen und müsse sich nun verstärkt selbst um seine „Peripherie“ kümmern. Wenn auf die westliche „Wertegemeinschaft“ künftig nicht mehr gebaut werden könne, weil sich die USA auf ihr „nacktes Eigeninteresse“ zurückziehen, dann, so Münkler, müssten die Europäer, die für die Rolle des Weltpolizisten natürlich zu schwach seien, ihre „Werte und Interessen“ wenigstens in ihrem näheren Umfeld militärisch gemeinsam sichern. Die Trump-Wahl bietet (ebenso wie der Brexit, waren es doch vor allem die Engländer, die sich gegen stärkere militärische Integration der EU gewehrt haben!) einen willkommenen Anlass, die ansonsten ziemlich handlungsunfähige EU unter militärischen Integrationsdruck zu setzen – und zwar unter deutscher Führung. Dieses Narrativ ist nicht wirklich neu, es kontinuiert die Geschichte von der „gewachsenen deutschen Verantwortung“ in der Welt. Interessant ist allerdings ein neuer Zungenschlag, der den allenthalben an die Macht drängenden nationalen Rechtspopulismus in eine deutsche Ressource verwandelt. Wenn die US-Regierung nicht mehr als Verkörperung der „westlichen Werte“ gesehen werden kann, dann eröffnet das Chancen für Akteure, die willens und in der Lage sind, in diese Rolle zu schlüpfen. Und just diese Rolle hat Münkler für das militärisch gestärkte Deutsch-Europa vorgesehen. Auf die Frage des Interviewers, ob Angela Merkel nun Trumps Antipodin werden würde, antwortet Münkler:

„Merkel wird vielmehr alles tun, um nicht in diese Rolle zu geraten. Sie wird eine vermittelnde Position suchen. Das wird umso leichter möglich sein, je früher Gegensätze zwischen Amerika und Russland aufbrechen. Zwischen diesen Interessen könnte sie vermitteln – und dabei zwei egoistischen Großmächten gegenüber auch als Hüterin von Werten und Normen auftreten.“

Deutsch-Europa als einzige nicht-egoistische, für Werte und Normen stehende militärische Macht, das scheint Münklers strategisches Modell zu sein. Es kontinuiert das moralisch-universalistische Image, das die Merkelregierung in der Flüchtlingskrise aufgebaut hat und das offenbar weder durch die radikale Verschärfung der deutschen Asylpolitik noch durch den Türkei-Deal noch durch die Reinstallierung der Dublin-Regeln für Flüchtlinge in Europa ernsthaft angekratzt worden ist. Es versteht sich von selbst, dass jedwede (zumal militärische) Vormachtstellung Deutschlands nach 1945 nur im Zeichen moralisch-universalistischer Werte errichtet werden kann. Und in dem Maße, wie auch den EU-Hauptstädten (Polen, Ungarn, Tschechien, vielleicht bald auch Frankreich) neonationale „Egoisten“ an die Macht gelangen, wird es immer deutlicher, dass die Vormachtrolle eben nicht national ausgestaltet werden kann. Sie muss (wie zumindest partiell noch Obamas USA) als Verkörperung „westlicher Werte“ erscheinen, und das gerade dann, wenn sie an ihrer „Peripherie“ auch zu hemdsärmelig militärischen Mitteln greift, und wenn sie von Staaten umgeben ist, deren nationale Enthemmung mit Händen zu greifen ist.

Die tiefe Ironie dieser ganzen Geschichte liegt darin, dass Münkler den Deutsch-Europäern genau das Rezept verordnet, das die neuen National-Egoisten von Erdogan bis Putin bereits anwenden: Die Türkei erhebt von jeher den Anspruch, ihre kurdische „Peripherie“ (in Syrien, im Irak) militärisch zu ordnen, und der (jüngst verblichene) Westen geißelt seit vielen Jahren die angebliche Bereitschaft Russlands, seine „Peripherie“ auch militärisch zu kontrollieren. Was angesichts der vertragswidrigen militärischen Einkreisungspolitik von NATO und USA gegenüber Russland  geradezu verständlich wäre. Zweifellos sind andere Regionalmächte gespannt zu erfahren, welche höheren Werte denn  geeignet sind, militärische Einsätze gegen eine „Peripherie“ zu rechtfertigen, die ja immer noch aus souveränen Staaten besteht – sofern der (angeblich verblichene) Westen sie noch nicht in failed states verwandelt hat. Und wo beginnt, wo endet eigentlich die „Peripherie“ Deutsch-Europas? Gehört Griechenland dazu? Die Ukraine? Seit Jazenjuk von den USA („Fuck the EU!“) dort installiert wurde, war man eigentlich eher geneigt, die Ukraine zur US-Peripherie zu rechnen. Nordafrika? Der Nahe Osten?

Natürlich reden wir einstweilen nur von verbalen Reaktionen auf die Trump-Wahl und den schier unaufhaltsamen Siegeszug neonationaler „Bewegungen“. Die Worte  fallen naturgemäß okkasionalistisch aus: Jeder nutzt die öffentliche Aufmerksamkeit, um sein Anliegen vorzutragen. Ob aus Münklers deutsch-europäischer Militärmacht etwas wird, steht in den Sternen. Immerhin hat man in Brüssel schon mal die Backen aufgeblasen und von Europa als einer „Supermacht“ gesprochen, was angesichts der kaum zu übersehenden Handlungsunfähigkeit der EU wohl verhaltenes Gelächter auslöst.

Nicht uninteressant ist aber auch, was in Brexit-GB und Trump-USA manche Wirtschaftsakteure in den Vordergrund schieben: Reindustrialisierungs- und Infrastrukturprogramme nebst umfänglicher Neuverschuldung. Die (ziemlich rabiate) Schubumkehr bei den Freihandelsabkommen (Trump mag TTiP nicht!) unterstreicht ebenfalls, dass die wirtschaftlichen Folgen der globalen industriellen Arbeitsteilung den Initiatoren und bisherigen Nutznießern der Globalisierung ein wenig unheimlich werden. Dass Freihandel nur den Exportstarken wirklich Gewinn bringt (Deutschland exportiert 50% seiner Produktion), ist jedem Marxisten bekannt. Offenbar begreifen die neonationalen Fraktionen der Wirtschaftseliten, dass es auf die Dauer riskant ist, die Industrieproduktion in die (da ist sie wieder!) „Peripherie“ zu verlagern.

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