ernstfall faschismus: aufbau von fasci in der türkei

28. Feb 2017 / Die Fabel ist bekannt: Jede Nacht weckte der Wächter die Dorfleute mit dem Geschrei „Der Wolf kommt“!  Er kam aber nie. Nach längerer Zeit kam er wirklich, aber da blieben die Leute im Bett. Wie oft ist seit 1968 schon „Faschismus!“ gerufen worden? Was ist Faschismus? Das sollte man an den „klassischen“ Beispielen Italien und Deutschland lernen. In beiden Fällen handelte es sich um ein permanentes Notstandsregime (bzw. Ausnahmezustand), aber ein besonderes.

Ein besonderer Typ von permanentem Notstandsregime

Permanente Notstandsregime (Ermächtigungsregime) in zuvor parlamentarischen Demokratien können verschiedenen Typs sein: Sehr verbreitet sind Militärdiktaturen (heute etwa das Regime Al-Sisi in Ägypten) oder „Polizeistaaten“ als eine Kombination von Einheitspartei, „Autoritarismus“ und Polizeiterror, oder auch sogenannte Technokratendiktaturen (wie seinerzeit das Regime Salazar in Portugal). Faschismus als permanentes Notstandsregime ist durch die entscheidende Rolle von Fasci (Plural des italienischen Fascio = Bund, in der Bedeutung von Männer-Kampfbund) gekennzeichnet. Die italienischen Fasci di Combattimento (Kampfbünde) Mussolinis gingen aus Spezialtruppen (Arditi) des Ersten Weltkriegs hervor, die sich nach 1918 in „freie“ Bürgerwehren verwandelten mit dem Ziel, die „Straßen von den Roten zu säubern“ und eine sozialistische Revolution zu verhindern. Die gleiche Rolle spielten in Deutschland die Freikorps, die vor allem im „Baltikum“ und 1920 im Ruhrgebiet brutale „Säuberungen“ durchführten (bereits teilweise mit dem Hakenkreuz am Helm, so dass ihre spätere Verwandlung in SA und SS konsequent war).

Faschismus in zwei Phasen

Faschismus entwickelt sich also strukturell in zwei Phasen: In einer ersten, noch parlamentarisch-demokratischen, Phase erobern Fasci mit paramilitärischen Mitteln die Macht in der Zivilgesellschaft, indem sie radikal-sozialistische und radikal-demokratische Sektoren der Zivilgesellschaft durch Terror „ausschalten“. Bereits in dieser Phase kooperieren die außerstaatlichen Fasci mit innerstaatlichen Fasci (des sogenannten „Tiefenstaates“), besonders Spezialtruppen in Polizei und Armee, aber auch Teilen des Justizapparates (der die Freikorpsmörder möglichst schonend behandelte). Die außerstaatlichen Fasci konstituieren sich in der ersten Phase gleichzeitig als politische Massenbewegung bzw. Massenpartei, typischerweise mit einer Kombination aus Ultranationalismus und Rassismus mit „revolutionären“, besonders dem radikalen Sozialismus entwendeten Symbolen und Diskurselementen. Ein wichtiges Element ist auch die „kulturelle Machtergreifung“ bereits vor der politischen, typischerweise durch einen „Kulturkampf“, sprich Terrorisierung „feindlicher Kulturelemente“ („Kulturbolschewismus“, „Judenliteratur“), auch in den Universitäten und Medien. In einer zweiten Phase folgt (im Falle des Erfolgs) die „Machtergreifung“, in der die faschistische Bewegung bzw. Partei den gesamten Staatsapparat besetzt und von allen nicht-faschistischen Elementen, darunter dem Parlamentarismus mit seinen pluralen Wahlen, „säubert“. Die außerstaatlichen Fasci werden in den Staat überführt und mit den innerstaatlichen Fasci kombiniert bzw. verschmolzen. Nachdem also zuerst der Krieg in den Bürgerkrieg überführt wurde, kann nun der Bürgerkrieg wieder in den nationalistischen bzw. imperialistischen Krieg nach außen überführt werden. Das nun „total gleichgeschaltete“ bzw. „totalitäre“ (ein Begriff Mussolinis) System gibt sich die Ideologie einer „definitiven“, „tausendjährigen“ Ordnung der „Volksgemeinschaft“ auf radikalnationalistischer und imperialistischer Basis. Diese „Ordnung“ ist typischerweiese korporatistisch, indem sie Unternehmer und Arbeiter angeblich solidarisch vereint (Deutsche Arbeitsfront) und also den Klassenkampf stillstellt (natürlich zugunsten des Kapitals). Dennoch wäre es verfehlt, den Faschismus einfach auf einen „Ausdruck des Kapitals“ zu reduzieren. Es handelt sich um eine besondere Form der mit dem Kapital kompatiblen kulturellen und politischen Hegemonie, in dem große Teile der Mittelklassen, aber auch Teile der Arbeiterschaft gewonnen werden.

Protonormalistische Subjektivität („Psychologie“) der „soldatischen Männer“ (Klaus Theweleit)

Klaus Theweleit („Männerphantasien“, letztens „Das Lachen der Mörder“) hat in einer Analyse der Memoiren von Freikorpsmännern den Subjekttypus des „soldatischen Manns“ herausgearbeitet, der aufgrund (protonormalistischer) frühkindlicher Formung einen „Körperpanzer“ entwickelt, der ihn als männliches Subjekt vor „Überflutung durch weibliche Körper“ schützen soll, woraus eine aggressive Sexualität folgt. Dieser typische Faschist phantasiere auch alle Formen von „chaotischen“, nicht-geordneten, besonders aufständischen Massen als „weiblich“ und suche eine unbewusste Entspannung im panzerartigen Niederrollen und Niederschießen solcher revolutionären oder kulturrevolutionären Massen. In seinem Buch „Das Lachen der Mörder“ hat Theweileit in Anders Breivik den gleichen Subjektivitätstyp wiedererkannt.

In der Türkei werden Fasci aufgebaut

Wie in Telepolis (27.2.2017) berichtet wird, werden im Zuge der „Putschbekämpfung“ und der Agitation für die Verfassungsänderung typische Bürgerwehren (Fasci) aufgebaut. Kardes Kal Türkiye („brüderliche Türkei“) wird von Orhan Uzuner, dem Schwiegervater von Edogans Sohn Bilal, auf nationaler Ebene organisiert. Das nationale Netz besteht aus örtlichen und regionalen Whats-App-Gruppen. Vorgeblich soll KKT für den Fall eines neuen Putsches schnell mobilisierbar sein und sofort zurückschlagen können. Ähnlich ist HÖH (Halk Özel Harekati = Spezialeinheiten des Volkes) organisiert. Wie im Fall der klassischen Fasci ist eine wichtige Aufgabe auch die Denunziation und Einschüchterung als feindlich betrachteter Sektoren der Zivilgesellschaft. Es wäre wichtig, Genaueres über die Form der Kooperation mit staatlichen Apparaten und die Frage der Bewaffnung zu wissen, um einschätzen zu können, wieweit diese Bürgerwehren sich bereits den typischen Fasci angenähert haben.

Tags: