frage: ein roman auf höhe der krise? antwort: die vorerinnerung!

17. Jul 2009 / Im Fatz-Feuilleton vom 15 Juni kritisierte der junge Romancier Thomas von Steinaecker, dass der postmodern „realistische“ Roman nicht auf der Höhe der Krise sei: „Es ist anzunehmen, dass wir in den Romanen der nächsten Saison schon bald verstärkt von Maklern und Managern lesen werden. Es kann jedoch nicht damit getan sein, aus der Erleichterung heraus, endlich wieder ein ‚wichtiges‘ Thema zu haben, in der bekannten Manier über arbeitslose Banker zu schreiben, die sich kein Sushi mehr leisten können.“ Was Steinaecker auf seine Art sehr zutreffend darstellt, ist folgendes: Es geht bei der Krise um „abstrakte Mechanismen“, an deren Relevanz eine interpersonal-interaktionistische Love Story einfach nicht herankommen kann. Das ganze sei eher „virtuell“ wie eine „Computersimulation“ – und da müssten ganz neue Erzählweisen her, um etwa über die „komplexen Kettenreaktionen“ von „40 Billionen Euro“ mehr zu erfahren als in der Fatz auch schon steht.

Was Steinaecker also einklagt, ist ein Roman von aktualhistorischer Relevanz, der die „abstrakten“ Prozesse mit ihren „Simulationen“ schwindelerregender Massen von Menschen und Kapitel und ihrer Crash-Trächtigkeit im Turbo-Kapitalismus als „phantastische Grundierung“ unseres normalen Alltags erzählen (erzählen!) könnte. Das hört sich an wie ein generatives Modell für die „Vorerinnerung“ (Bangemachen gilt nicht auf der Suche nach der Roten Ruhr-Armee, assoverlag). Dort kämpfen keine entlassenen Manager, sondern die Ursprünglichen Chaoten gegen den „V-Träger“, d.h. den Verantwortungs-Träger, der die Verantwortung trägt  für eben jene Abstraktionen und Simulationen, die ihrerseits ironisch gegen-simuliert werden. Die Vorerinnerung entstand in den 80er und 90er Jahren, lange vor dieser Krise. Man lese aber zum Beispiel das Kapitel „Dazu die flankierende Simultan-Simulation der Märkte, des Wählers und unserer Lebenslinien (Hochrechnung von 1974 auf 1994)“. (Seite 282 ff.) Verblüffende prognostische Kompetenz?

In der Tat: Die Grundbedingung für einen Roman auf der Höhe der Krise ist eine solide alternative prognostische Kompetenz. Der Turbo-Kapitalismus lebt von Prognosen, Wetten auf die Zukunft, Vertrauen auf künftige Profite, kurz von Simulation. Weshalb ein Roman ohne Simulations-Kompetenz, wie Steinaecker richtig bemerkt, ein anachronistisches Unding ist – allenfalls tauglich als Szenario für einen sofort vergessenen abendlichen TV-Film vorm Einschlafen. Wie aber können Gegen-Simulationen und Gegen-Prognosen zu Erzählstrukturen werden? Indem sie partisanenhaften Subjekten als Waffen in die Hand gegeben werden: im Kampf gegen den V-Träger der turbokapitalistischen Simulationen, die in den Crash führen. Wer eine wirklich alternative Urlaubslektüre sucht, lese die „Vorerinnerung“.

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