hölderlin und der neue papst s.j.

16. Mrz 2013 / Glaubt man dem neuesten Leak aus dem Vatikan, dann zitierte der neue Papst nach seiner Wahl vor den Kardinälen auf deutsch einen „Hölderlinvers“: „Es ist ruhig, das Alter, und fromm“ (z.B. FAZ 16.3.2013, S. 2). Dieser Vers steht, wie ich inzwischen sehe, tatsächlich in dem Geburtstagsgedicht „Meiner Verehrungswürdigen Grosmutter zu ihrem 72. Geburtstag“: „O ihr Lieben! und lange, wie du, o Mutter! zu leben/ Will ich lernen; es ist ruhig das Alter und fromm.“  In diesem durchgängig „zweistimmigen“ Privatgedicht hat Hölderlin seine eigene (neospinozistische) Weltsicht indirekt in der christlichen Sprache seiner Familie formuliert.

Bekannter ist ein scheinbar ähnlicher, direkt in der eigenen Sprache formulierter Vers, der Schlussvers aus „Abendphantasie“: „Friedlich und heiter ist dann das Alter“. Das ist die Pointe eines jedenfalls nicht orthodox frommen Gedichts: „Wohin denn ich? Es leben die Sterblichen/ Von Lohn und Arbeit; wechselnd in Müh‘ und Ruh’/ Ist alles freudig; warum schläft denn/ Nimmer nur mir in der Brust der Stachel?“ Sowie: „Komm denn nun, sanfter Schlummer! zu viel begehrt/ Das Herz; doch endlich, Jugend! verglühst du ja,/ Du ruhelose, träumerische!/ Friedlich und heiter ist dann das Alter.“ Wenn das eine Frömmigkeit ist, dann eine heidnische.

Franziskus kennt also tatsächlich wahrscheinlich nicht bloß einen Vers von Hölderlin. Wir werden vielleicht noch mehr darüber erfahren, wie der neue Papst darauf gekommen ist. Hypothese: Als Jesuit hospitierte er einige Monate in St. Georgen. Dort mag er erfahren haben, dass Hölderlin sich an einer wichtigen Stelle auf Ignatius von Loyola, den Gründer des Ordens, bezieht: Das Motto über dem gesamten Hyperionroman (Non coerceri maximo, contineri minimo, divinum est; also: Vom Größten nicht eingeschränkt, im Kleinsten enthalten sein, ist das Göttliche) stammt vom Grabstein des Ignatius.

Hölderlin ein „Kryptojesuit“, wie sie von den Aufklärern überall vermutet und entlarvt wurden? Vielmehr dürften die revolutionären (evangelischen) Theologiestudenten des Tübinger Stifts wie Hölderlin, Hegel und Schelling jesuitische Anspielungen als ironische Geheimsprache benutzt haben. So heißt der deutsche Freund Hyperions „Bellarmin“ – wie der stramme Gegenreformator und Jesuit gleichen Namens. Geheimer Sinn: „Schöner Deutscher“ (also „griechischer“, heidnischer Deutscher). Dann muss man das Loyola-Zitat als verschlüsselnden Kode für Hölderlins Neospinozismus lesen.

Pointe: Im Tübinger Turm, wo er, nach allgemeiner Auffassung unter einem, allerdings recht besonderen, Wahnsinn („geistige Zerrüttung“) leidend, nach seinem Zusammenbruch 1806 und nach seiner „Therapie“ in Autenrieths Klinik lebte, schaffte sich Hölderlin die ihn störenden Besucher dadurch vom Halse, dass er ihnen Adelstitel verlieh und sie mit „Euer Majestät“ usw. anredete, bis sie entnervt wieder gingen. Zu den am häufigsten gebrauchten Titeln gehörten „Ehrwürdiger Pater“ und „Eure Heiligkeit“. Konkret etwa: „Ich bin nun orthodox geworden, Eure Heiligkeit!“ Wenn ihn Sensationsgierige über seine Liebe zu Diotima (Susette Gontard) ausfragen wollten, antwortete er etwa: „Ach, reden Sie mir nicht von Diotima, das war ein Wesen! Und wissen Sie: dreizehn Söhne hat sie mir geboren, der eine ist Kaiser von Rußland, der andere König von Spanien, der dritte Sultan, der vierte Papst!“

Warten wir mal ab, ob die hegemonialen Medien diesen Kontext selbst herausfinden. Wenn nicht, sei dieser Post zum Plagiat angeboten – Plagiate sind gute Mittel, nicht hegemoniale Diskursfetzen in die Hegemonie zu bringen.

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