normal rechts (von florian neuner)

8. Dez 2016 / Daß der österreichische Innenminister und Wahlleiter Wolfgang Sobotka am Abend des Wahlsonntags Wien verließ, um an der deutschen Politshow »Anne Will« teilzunehmen, löste nach den zahllosen Pannen, von denen diese Bundespräsidentenwahl begleitet war, in Österreich Kritik und Verwunderung aus. Für Verwunderung sorgte der ÖVP-Minister aber auch in der langweiligen Berliner Quatschrunde zum Thema »Europa auf der Kippe«, brachte er doch nicht über die Lippen, was sogar für Ursula von der Leyen, der Kriegsministerin von der ÖVP-Schwesterpartei CDU, selbstverständlich war und was auch Angela Merkel am Tag darauf äußern sollte: Erleichterung, daß der von den Grünen unterstützte Alexander van der Bellen den deutschnationalen Burschenschafter Norbert Hofer unerwartet klar besiegt hatte.

Wer die politischen Debatten der letzten Monate in Österreich verfolgt hat, der wird sich allerdings kaum über den rechten ÖVP-Mann wundern, der es sich mit der FPÖ, dem künftigen Wunsch-Koalitionspartner, nicht verscherzen will. Anders als der unterlegene Kandidat nicht müde wird zu behaupten, gab es keine breite Allparteienfront gegen ihn wie regelmäßig in Frankreich gegen den Front National. Nicht einmal die Sozialdemokraten konnten sich zu einer Wahlempfehlung durchringen. Es gab nur einzelne, zum Teil prominente Stimmen in der SPÖ wie in der ÖVP, die sich klar für Van der Bellen aussprachen und über deren Einfluß auf das Wahlergebnis spekuliert werden kann. Das spricht Bände und läßt Schlimmes befürchten. Zu konstatieren ist die endgültige Normalisierung der FPÖ – spätestens seit der Bildung einer SPÖ-FPÖ-Koalition im Burgenland im vergangenen Jahr, befestigt im Endlos-Wahlkampf 2016. Norbert Hofer wird zudem als Antipode zu seinem Parteichef Heinz-Christian Strache wahrgenommen, der nicht nur Bierzelt-Rhetorik drauf hat, sondern bei Bedarf auch smarter aufzutreten weiß. Daß er inhaltlich eine gemäßigtere Agenda als Strache vertreten würde, wird aber niemand behaupten. Offen ist die Frage, mit welchem »Gesicht« die rechte Partei künftig noch erfolgreicher in die sogenannte Mitte der Gesellschaft vordringen kann – in eine Mitte, die längst schon bedenklich weit nach rechts verschoben wurde.

Einer der letzten Bausteine bei der Normalisierung der FPÖ war ein TV-Duell zwischen dem sozialdemokratischen Kanzler Christian Kern und Heinz-Christian Strache Ende November, von dem in der Boulevardpresse als »Kuschel-Duell« berichtet wurde. Die Frage, warum der amtierende Regierungschef dem Oppositionsführer kurz vor der Wahl des Bundespräsidenten ohne Not eine derartige Bühne bot, um hinterher das »amikale« Klima zu betonen, ist leicht zu beantworten: Ausgesandt werden sollte die Botschaft von der »Normalisierung der Gesprächsbasis«, von der in SPÖ-Kreisen die Rede ist. Es ist dies eine seltsame Normalisierung. Ein »Fundi-Realo-Spiel« (Jürgen Link), bei dem die FPÖ von ganz rechts ein Stück in Richtung nicht ganz so weit rechts gedriftet wäre, hat nämlich keineswegs stattgefunden. Auch kann man nicht sagen, daß das Spitzenpersonal heute »moderater« wäre als vor 10 oder 20 Jahren. Im Gegenteil: Hofer wie Strache pflegen Verbindungen in rechtsextreme Milieus, die sie in Interviews mit Spitzfindigkeiten und Lügen regelmäßig abzustreiten versuchen. So gesehen stand sogar der verstorbene Jörg Haider auf einem angenommenen Kontinuum zwischen der Normal-Mitte und dem rechtsextremen Rand nach BRD-Kriterien weiter in der Mitte als die heutige FP-Führung. Die ehemaligen Volksparteien ÖVP und SPÖ indes hecheln seit Jahren der FPÖ hinterher wie die CSU der AfD und verschieben so die Mitte immer weiter nach rechts. Im medialen Mainstream-Diskurs Österreichs scheint man wild entschlossen, sich diesen Zustand schönzureden bzw. reagiert eben wendig auf die neue rechte Mitte. Ein Politiker wie Sobotka mag die FPÖ noch nicht mal als »rechtspopulistisch« bezeichnen, dabei ist auch das eine Verharmlosung.

Norbert Hofer aber war – egal, was die mediopolitische Klasse in Wien denken mag – kein normaler Kandidat. Die besorgten Stimmen aus dem Ausland, auf welche die Österreicher seit Kurt Waldheim mit »Jetzt erst recht!« zu reagieren pflegen, hatten recht, wenn sie in seinem möglichen Wahlsieg ein Denormalisierungssignal gesehen hatten. Der Passant, den ein Deutschlandfunk-Reporter nach der Wahl in Wien vors Mikrophon bekommen hat, hatte keine Hemmung auszusprechen, um was es den meisten Hofer-Anhängern gegangen war: eine katastrophale Entscheidung, jetzt drohe wieder eine Ausländerflut. Wenn die vom ORF veröffentlichten Umfragen zutreffen, denen zufolge die Mehrheit der Van-der-Bellen-Wählen diesen Kandidaten in erster Linie gewählt hatte, um Hofer zu verhindern, dann machen sich diese Wähler weniger Illusionen als die Wortführer der veröffentlichten Meinung, für die die Welt am Sonntagabend schon wieder in Ordnung war. Und mit etwas Distanz zum neuen österreichischen Normal-Rechts kann einen auch einiges im Wahlkampf Alexander van der Bellens, des Wirtschaftsprofessors vom rechten Rand der Grünen, seltsam berühren: die Plakate mit dem großen Schriftzug »Heimat«, das krampfhaft Volkstümelnde, die Selbstverständlichkeit, mit der er zwischen Wirtschaftsflüchtlingen und »richtigen« Flüchtlingen unterscheidet usf. Wer sich die Themen aufzwingen läßt, ist in der Defensive. Und die Sorgen des Auslands beschränken sich natürlich auf die »europäische« Verläßlichkeit Österrechs, mit Details der Innenpolitik hält sich niemand auf. Selbst eine künftige FPÖ-geführte Regierung hätte aber vermutlich Schwierigkeiten, sich Verschärfungen des Asylrechts einfallen zu lassen, die in Deutschland nicht schon längst Gesetz sind. Sofern es freilich nicht zu unerwarteten Erdrutschen kommt, wird auch in Zukunft eine Regierungsbildung gegen die FPÖ jederzeit möglich sein. Allein, es gibt dazu anscheinend keinen Willen mehr.

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