03 Nov vor 100 jahren: georg trakl opfer der schlacht bei horodok (ukraine) gegen russland
3. Nov 2014 / Am 3. November 1914 starb Georg Trakl als eins der Millionen Opfer des 1. Weltkriegs und als eins der vielen jungen Genies der Moderne, deren Zukunft der besoffene imperiale Nationalismus und der „Griff zur Weltmacht“ auslöschte. Im Alter von 27 Jahren hatte er sich in einem Lazarett in Krakau mit einer Überdosis von Medikamenten das Leben genommen. Trakl war als Sanitäter (weil er von Beruf Apotheker war) an die Ostfront gegen Russland kommandiert worden, wo er in einer der ersten entsetzlichen Materialschlachten des Krieges eingesetzt wurde, der Schlacht bei Horodok in der Ukraine (polnisch Grodek Jagiellonski, russisch Gorodok), 24 Kilometer südwestlich von Lwiw (Lemberg), am 7 . September 1914. Die Opfer an Toten und Schwerverletzten auf beiden Seiten gingen in die Tausende: Trakl sollte Hunderte von laut und leise klagenden Schwerverletzten „versorgen“: Er fühlte sich vollständig ohnmächtig und brach zusammen, versuchte bereits, sich das Leben zu nehmen. Er wurde daraufhin als krank nach Krakau ins Hospital überführt. Wie er in den zwei letzten Monaten seines Lebens in tödlicher Depression existierte, kann man sich nur vorstellen, es sind keine Konkreta darüber bekannt. Aber er schrieb noch einige Gedichte, die zu den Gipfeln der modernen Poesie zählen. Verse wie diese aus „Grodek“: „Am Abend tönen die herbstlichen Wälder/ Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen/ Und blauen Seen, darüber die Sonne/ Düstrer hinrollt; umfängt die Nacht/ Sterbende Krieger, die wilde Klage/ Ihrer zerbrochenen Münder. / Doch stille sammelt im Weidengrund/ Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt/ Das vergoßne Blut sich, mondne Kühle; /Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.“
Man kann den letzten Vers nur halbwegs angemessen lesen, wenn man sich die Straßen in Richtung Russland gefüllt mit nationalistische Kriegslieder grölenden Fortschrittsbatallionen („wir fahrn nach Lotz!“) vorstellt. Die Schlussverse: „Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz,/Die ungeborenen Enkel.“ Trakl erlebte diesen Krieg als „die letzten Tage der Menschheit“, wie Karl Kraus von ihm inspiriert formulierte: in einer Halluzination wie bei seinem Vorbild Rimbaud sah er visionär das Ende der Menschheit als Konsequenz dieser Art von Kriegen voraus. Wie es in einem anderen der letzten Gedichte („Klage“) heißt: „Schlaf und Tod, die düstern Adler/ Umrauschen nachtlang dieses Haupt:/ Des Menschen goldnes Bildnis/ Verschlänge die eisige Woge/ Der Ewigkeit.“ – „Sieh ein ängstlicher Kahn versinkt/ Unter Sternen,/ Dem schweigenden Antlitz der Nacht.“
Im 2. Weltkrieg rollte die Vernichtungsmaschine der Wehrmacht wieder auf den gleichen Straßen nach Osten gegen Russland. Und diesmal wurde auch hinter der Front vernichtet: Im Mai 1943 wurde das Ghetto von Horodok „aufgelöst“, seine letzten Bewohner ins Gas geschickt – so wie das ganze Jiddischland der Westukraine.
Im Jahre 2014 verbündete sich die deutsche Regierung mit einer nationalistischen ukrainischen Regierung, deren Chefs Politik in Kampfanzügen machte und die innere Konflikte militärisch als „Anti-Terror-Operationen“ lösen wollte. In dieser Regierung gab es Fraktionen, die sich in der Tradition von 1943 sahen und die von „Siegesparaden über Russland“ träumten. Der deutsche Präsident, eine Art Kaiser Wilhelm III., setzte am 1. September 2014 in Danzig (wo die Wehrmacht am 1. September 1939 den 2. Weltkrieg begonnen hatte), indirekt Putin mit Hitler gleich und forderte, der Westen müsse ihn stoppen. Unbekannte Master Minds planten daraufhin die Entsendung bewaffneter deutscher Fallschirmjäger an die ukrainisch-russische Grenze. Die militärische Eskalation gegen Russland schien kaum noch zu stoppen zu sein.
Natürlich können Eskalationspolitiker mit Trakl nichts anfangen – Phantasielosigkeit ist die erste Bedingung von Eskalationspolitik. Aber Medienleute, vor allem weibliche, sollten noch einen Rest von Vorstellungskraft und historischem Erinnerungsvermögen besitzen. Ihre phantasielosen einäugigen, eskalationsträchtigen Berichte sind mit Trakls Versen zu konfrontieren: „Dornige Wildnis umgürtet die Stadt./ Von blutenden Stufen jagt der Mond/ Die erschrockenen Frauen./ Wilde Wölfe brachen durchs Tor.“ („Im Osten“)