15 Feb Wenn die Nato-Raketen das „Herz der Finsternis“ penetrieren
15. Feb 2010 / Den Generälen der Nato-Großoffensive in Afghanistan schlägt ihr Herz so hoch, dass sie klassische Literatur zitieren: "Wir stoßen vor ins Herz der Finsternis", sagte der britische General Matt Bazely. Ob er allerdings seinen Joseph Conrad wirklich gelesen hat, bei dem dieses Kollektivsymbol afrikanischer Barbarei ziemlich ambivalent ist, ist zu bezweifeln. Er meinte es wohl so: Wir bringen die Zivilisation ins schwarze Herz der asiatischen Barbarei.
Womit? Zum Beispiel mit Raketen, deren Penetrationsfähigkeit auf moderne Weise ebenfalls klassisch ist. Nur dass sie manchmal gleich am Anfang "fehlgeleitet" werden und dann 12 "Unschuldige" töten, wo sich Mc Chrystal gleich am Anfang "entschuldigen" muss. Was oder wer kann Raketen "fehlleiten"? Entweder schlechte Technik – oder irrtümlich oder absichtlich falsche Zielvorgabe des anonymen afghanischen Informanten. Die Nato sagt öffentlich: Es war die Technik. Das System "HIMARS" hat die Raketen "mehrere 100 Meter" fehlgeleitet und wird jetzt überprüft. Da gibt es schon wieder zwei Möglichkeiten: Entweder es stimmt, und dann ist der Einsatz eines solchen Systems unglaublich und völlig unvereinbar mit den Versicherungen über die Metergenauigkeit "chirurgischer Schläge" – oder es ist eine Deckbehauptung wegen Alternative eins.
Klar ist nur eins: Der "Vorfall", wie das – auch in unseren Medien! – genannt wird, war eine "gezielte Tötung" (targeted killing), worin der eigentliche Kern der Nato-Penetrations-Strategie ins Herz der Finsternis besteht. Anonyme Signalisierung eines Informanten der zivilisierten Geheimdienste, und dann Luftschlag (Rakete, Drohne, Jet-Bombe [wie bei den nächsten zivilen Opfern], Hubschrauber-Schlag). Das läuft auf der Basis sogenannter "c-k-Listen" ("capture or kill"), die u.a. auch vom BND erstellt werden. "Capture" ist dabei bloße Floskel: Aus der Luft lässt sich nicht verhaften. Außerdem weiß die Nato nicht, wen sie verhaftet hätte: Einen Kombattanten? Dann müsste er in ein öffentlich zugängliches Gefangenenlager und hätte viele Rechte – einen (mutmaßlichen) Verbrecher? Dann hätte er Recht auf einen Anwalt, müsste verklagt werden, einen Prozess bekommen usw. Leichen haben all das "verwirkt".
[Zusatz nach zwei Tagen: Die Prüfung des Raketensystems hat ergeben: Technik völlig okay – das eingestellte Ziel wurde exakt getroffen. Es war korrekt, weil unter den Opfern vermutlich auch ein oder zwei Taliban waren. Also doch Sache eines anonymen Informanten. MacChrystal kann sich ent-entschuldigen. Alles korrekt! Heißt konkret: Wenn nur 5 oder 6mal soviele zugegebenermaßen Unschuldige als mutmaßliche Taliban gezielt getötet werden, darunter die Hälfte Kinder, ist das ein "angemessenes" CDE = Collateral Damage Estimate. Und es geht täglich weiter. Das ist der wahrlich harte Kern der ISAF-Strategie.]
"Heart of Darkness" lesen ist nicht schlecht: Es macht bestimmt sehr nachdenklich. Weniger klassisch, aber aktueller ist der Roman "Bangemachen gilt nicht auf der Suche nach der Roten Ruhr-Armee" (assoverlag Oberhausen), wo ein Anti-Guerillakrieg der Bundeswehr simuliert war, bevor er nun stattfindet. Es ist dort aktualhistorisch rekonstruiert, wie es zu einer solchen "unerhörten Begebenheit" (Goethe) kommen konnte.