wenn guttenberg bleibt, kann schavan nun wirklich nicht bleiben

25. Feb 2011 / Guttenberg selbst, Merkel und die ganze Regierung sowie deren mediale und populäre Basis, argumentieren systemtheoretisch: Das politische Teilsystem der Gesellschaft ist autopoietisch funktional ausdifferenziert, und das wissenschaftliche Teilsystem ebenso. Der binäre Code des ersten lautet „Regierung/Opposition“, der des zweiten „wahr/falsch“ – beide sind voneinander völlig unabhängig (jeweils autopoietisch geschlossen), und deshalb kann Guttenberg bleiben, weil er zum Minister, wie Merkel es schön formuliert hat, als fähiger Politiker und nicht als Wissenschaftler berufen wurde.

Was aber ist mit Frau Schavan, die im politischen Teilsystem für das wissenschaftliche Teilsystem zu sorgen hat? Sie sagte dem Deutschlandradio Kultur am 24.2.2011: „Viele, die in der Wissenschaft arbeiten, sind natürlich enttäuscht darüber, dass eine Dissertation so zustande gekommen ist, und ich finde, dass die gestrige Entscheidung (nicht die Gutti-Entscheidung von BILD, sondern die der Uni Bayreuth, J.L.) zeigt: […] Die Wissenschaft ist souverän, die Wissenschaft entscheidet zügig. […] Es gibt Situationen, in denen Fehler gemacht wurden. Und entscheidend ist dann ein System, das Selbstregulierungskräfte hat, und das ist gestern deutlich geworden. Der Titel ist aberkannt, und damit ist klar seitens der Wissenschaft gesagt worden: Hier ist ein Fehler gemacht worden beim Zustandekommen der Arbeit – bei der Bewertung der Arbeit […].“

Der systemtheoretische Duktus ist hier sehr deutlich. Aber er kollabiert: „zügige Entscheidung“ gehört zum politischen, nicht zum wissenschaftlichen Teilsystem. Und sie wurde tatsächlich im politischen, nämlich in einem zwischen Guttenberg und dem Kabinett abgesprochenen „Zustandekommen“ gefällt und der Uni okroyiert. Der Titel wurde eben nicht „aberkannt“, sondern Guttenberg  hatte souverän politisch entschieden, ihn „zurückzugeben“ wie ein Geschenk – und die Uni „nahm ihn zurück“ – wie ein abgelehntes Geschenk.

Frau Schavan hat also ihre Aufgabe, politisch das Wissenschaftssystem zu verteidigen, eindeutig nicht wahrgenommen. Sie hat außerdem ein weiteres funktional ausdifferenziertes autopoietisches Teilsystem verhöhnt, nämlich das Rechtssystem (mit dem Code „Recht/Unrecht“) – beides schon allein dadurch, dass sie weiter im gleichen Kabinett wie Guttenberg sitzen bleibt.

Daraus folgt zweierlei: Erstens dass kein Wissenschaftler mehr die Wissenschaft bei Frau Schavan in guten Händen glauben kann.

Zweitens aber auch einige Grundsatzfragen an die (luhmannsche) Systemtheorie: Ist nicht der Fall Guttenberg ein Modellfall dafür, dass die Gleichbehandlung spezialdiskursiv verfasster Teilsysteme (wie Wissenschaft und Recht) mit interdiskursiv verfassten (wie Politik und Medien) nicht hinhaut? Über die Frage „wahr/falsch“ wurde ja nie geredet: imgrunde geht es um eine interdiskursive Interferenz Wissenschaft-Recht und die Frage, ob sie in dieser Kombination oder im Interdiskurs Politik entschieden werden soll. Die Uni Bayreuth hat sich für eine eindeutig politische Version der Kombination entschieden. Sie hat implizit gesagt: Politik schlägt Recht in der Wissenschaft. Nach dieser Maxime führt Frau Schavan das Wissenschaftsministerium.

Aber was ist das für eine Politik? Woher stammt ihre „Sturheit“? Über Machtkampf hinaus aus ihrem praktischen Wissen, dass Politik für alles zuständig ist, eben als Interdiskurs. Interdiskurs bedeutet aber, dass politische Kompetenz keine Spezialkompetenz (wie die wissenschaftliche) ist, sondern eine selektive interpraktische („generalistische“) Kompetenz. Guttenberg hatte auch Wissenschaft für seine politische Kompetenz selegiert: Er versucht, diese politische Selektion jetzt mit dem Argument loszuwerden, dass Politik eine Spezialität genau wie Wissenschaft wäre. Schavan deckt das mit ihrer „systemtheoretischen“ Argumentation. Werden Wissenschaft und Recht das absegnen? Und Politik?

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