afd: „rechtsextrem“ und/oder „rechtspopulistisch“ und vor allem: wie „normal“ oder „anormal“?

27. Sep 2017 / Gleich nach der Wahl bekam ich von einer „Susanna“ einen offenen Brief an die AfD zugemailt, den ich unterschreiben sollte. Der fing an: „Wir sind die 87 Prozent, die euch nicht gewählt haben. Wir sind links der Mitte, rechts der Mitte und genau auf der Mitte.“  Wie es weiter ging, kann jede Leserin simulieren. Susanna spielte hier (schlecht) ein Spiel mit, das – obwohl es nirgends im Grundgesetz steht – fundamentaler ist als das Grundgesetz: Das normalistische Rechts-Links-Mitte-Extreme-Spiel. Schlecht gespielt: Ist die AfD denn nicht auch rechts der Mitte? So what? Und wie weiß Susanna, wer „genau auf der Mitte“ sitzt? (Angela Merkel redet stets unter einer Inschrift DIE MITTE über ihrem Kopf.) Vermutlich meinte Susanna also eigentlich: Wir sind linke Mitte, rechte Mitte und genau auf der Mitte. Das ist genau das Spektrum der deutschen Stabildemokratie, wie es heißt, was eigentlich bedeutet: Normaldemokratie.

24. SEPTEMBER 2017: ENDE DER DEUTSCHEN NORMALDEMOKRATIE (AUSGESCHLOSSENE ANTAGONISMEN)?

Deutsche Normaldemokratie: Das heißt (hieß?) nur „normale“ Parteien im Parlament – Parteien der linken und rechten Mitte („regierungsfähig“) und solche eines linken und rechten Flügels („politikfähig“), ohne „Extreme von rechts und von links“, die jenseits der 5-Prozent-Hürde bleiben. Im normalen Parteienspektrum ist jeder mit jedem koalitionsfähig (weshalb eine „Jamaika-Koalition“ normal ist) – aber warum? Weil im Normalspektrum Antagonismen ausgeschlossen sind. Antagonismen sind (der Begriff stammt aus der materialistischen Dialektik) „harte“, kompromissunfähige Widersprüche und Konflikte. Marx hielt bekanntlich den Widerspruch zwischen großem Kapital und der von ihm gekauften Arbeitskraft, also zwischen Kapitalklasse und Arbeiterklasse, für einen solchen kompromissunfähigen Antagonismus. Vor über 100 Jahren gab die SPD diese Ansicht bereits auf. Am Anfang gab es bei den Grünen die sogenannten Fundis, die auch den Widerspruch zwischen großem Kapital und Rettung vor ökologischen Katastrophen für antagonistisch hielten. Die Realos sahen das anders (Windradindustrie, Elektroautos, Emissionsbörsen usw. ) – sie sind deshalb längst fit für Jamaika.

KLARTEXT DES RECHTS-LINKS-MITTE-EXTREME-SPIELS UND DER NORMALDEMOKRATIE: BITTE KEINE ANTAGONISMEN. WAS HEIßT „VERANTWORTUNG“ UND WAS HEIßT „POPULISMUS“?

So wie bei der ersten Wahl einer grünen Bundestagsfraktion und so wie am Anfang bei der Linken ist jetzt durch den Erfolg der AfD wieder die Frage aufgeworfen, ob eine Normaldemokratie mit Antagonismusverbot eigentlich demokratisch ist. Denn gibt es etwa keine Antagonismen mehr, wie es zu den „postmodernen“ Axiomen gehört? Aber was ist mit den Kriegen im islamischen Krisenhalbmond zwischen Afghanistan und Mali? Genau solche „Themen“ kommen in keinem Wahlkampf und dann auch nicht im Parlament als strittig vor. Obwohl es der helle Wahnsinn ist, ist eines schon jetzt klar: Egal welche („normale“) Regierung – der Wehretat wird zusätzlich (obwohl jetzt schon der zweite Budgetposten) enorm erhöht werden – man wird eine sehr teure EU-Spezialtruppe aufstellen, „um Macron entgegenzukommen“. Dabei zeigt sich, dass – trotz allen medialen Geschreis, dass es um „Inhalte“ ginge – potentiell antagonistische Inhalte medial totgeschwiegen und im Parlament als „unstrittig“ im Affentempo abgenickt werden. Die Sprechblase dafür heißt „Verantwortung“: Wenn man die Grünen fragt, wieso sie inzwischen weit über 30 Milliarden Euro in Afghanistan versenkt haben mit dem „Erfolg“, dass die Taliban noch nie so stark in der ehemals deutschen Besatzungszone im Norden waren und dass unsere „Hoffnung“ auf Warlords wie Dostum ruht – wenn man das fragt, ist die Antwort: „Wir haben die Verantwortung“, ein Rückzug wäre „verantwortungslos“ usw. Wenn man am Wahlabend in den Runden „Verantwortung“ gezählt hätte, wäre man bald nicht mehr mitgekommen. „Verantwortung“ wird also einfach überall eingesetzt, wo es keine demokratische Debatte geben darf, weil heiße (antagonistische) Eisen im Spiel sind.

Und nun die Antagonismen der AfD: Sie heißen Radikalnationalismus und Rassismus. Ausländer raus? Da ist kein Kompromiss möglich, es ist ein Antagonismus. Aber ist die AfD nun rechtextrem oder „nur“ rechtspopulistisch? Soweit sie am Antagonismus (also am Rassismus) festhält, ist sie klar außerhalb des Normalspektrums, also „rechtsextrem“. „Rechtspopulismus“ gab es zur Zeit der ersten Grünen noch gar nicht, sonst wären sie damals „linkspopulistisch“ genannt worden. „Populismus“ wurde erst 2000 in die Medien reingegeben (die den Begriff begierig aufgriffen) – seinerzeit ging es um die Koalition mit Haider in Österreich. „Populistisch“ ist ein Gummibegriff für ein Spiel mit Antagonismen: Vielleicht „Fundi“ – vielleicht aber auch „Realo“, also normalisierbar.

KOMMT JETZT EIN FUNDI-REALO-SPIEL IN DER AfD? ZWEI EINSCHÄTZUNGEN DER AfD

Bekanntlich wurde den Grünen ihr Antagonismus mittels eines „Fundi-Realo-Spiels“ ausgetrieben: Die Realos (die den Antagonismus aufgaben) ließen sich normalisieren, die Fundis (die am Antagonismus festhielten) wurden zur Minderheit und rausgesiebt. Über die AfD gibt es zwei Einschätzungen: Die überzeugten flexiblen Normalisten, die vom Erlöschen aller Antagonismen in den „reichen Ländern“, darunter Deutschland, überzeugt sind, setzen auf Normalisierung. Eine härtere Einwanderungspolitik ist ja eigentlich normal, sagen sie – 2015 gab es wirklich einen „Kontrollverlust“, also eine Denormalisierung, die revidiert werden muss. Dazu können AfD-Realos eine gute Katalysatorrolle spielen – wenn sie kompromissbereit werden, können sie normalisiert werden. Gleichzeitig damit können wir die radikalnationalistischen und rassistischen Fundis minimieren und raussieben. Eine andere Einschätzung haben die „pessimistischen“ Normalisten (Protonormalisten): Sie sehen den Antagonismus als nicht kompromissfähig und fordern ihn zu enttabuieren, ihn in der Debatte zuzulassen. Das wäre dann in der Tat das Ende der (bisherigen) deutschen Normaldemokratie. Wir hätten wieder einen Antagonismus in der Debatte, und zwar ausgerechnet den des Rassismus.

RECHTSPOPULISMUS UNGLEICH LINKSPOPULISMUS – DAS FORMALE RECHTS-LINKS-MITTE-EXTREME-SPIEL VERFREMDEN – WOZU EIN LINKSPOPULISMUS GUT SEIN KÖNNTE

„Populismus“ als Gummibegriff in der Grauzone von Normalspektrum (ohne Antagonismus) und Anormalspektrum („Extreme“, wo es Antagonismen gibt) zeigt, wie ein rein symbolischer Formalismus dazu dient, alle „Inhalte“ zu formalisieren. Ist dieses Rentenkonzept „links“ oder jener Mindestlohn „Mitte“, rückt die SPD mit Nahles nach „links“ und Seehofer nach „rechts“ usw. In den ersten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts scheinen sich die „Krisen“ zwischen „Immobilienkrise“ und „Flüchtlingskrise“ eskalierend zu reihen. Das sind Symptome schwelender oder ausbrechender Antagonismen. Eine Normaldemokratie, die die Diskussion über Antagonismen ausschließt, gerät mehr und mehr in Widerspruch zu der realen Krisenentwicklung – und könnte schlimmstenfalls in einen Antagonismus zur Wirklichkeit geraten. Insofern ist es gut, dass „Populisten“ Antagonismen in die Debatte bringen. Ihre Erfolge sind Symptome der in der Normaldemokratie ausgeschlossenen Antagonismen. Schlimm ist, dass es keine starken Kräfte gibt, die ausgeschlossene Antagonismen wie Kapital/Arbeit, Kapital/Ökologie, Globalisierung/soziale Souveränität, Großmachtkriege/kulturelle Fanatismen in den Bundestag bringen, sondern ausgerechnet jetzt bloß die AfD ihren Rassismus. Doch selbst dabei gibt es Ambivalenzen: Es sieht so aus, als ob die zur Zeit des Ostblockkollapses eingewanderten Russen (weit über eine Million) und ihre Kinder massiv AfD gewählt hätten. Das ist eine Quittung für die verrückte, provokatorische und eskalationsträchtige Großmachtpolitik der NATO-Mächte – nein: nicht gegen PUUTIIN, sondern gegen Russland. Warum ist es Tabu, zu erwähnen, dass die Krim seit Jahrhunderten unbestrittener Teil Russlands war und erst in den 1960er Jahren von dem „kommunistischen (!!!) Diktator (!!!)“ Chruschtschow der Ukrainischen Sowjetrepublik „geschenkt“ wurde??  Während jede „kommunistische“ Struktur längst verboten ist – ist nur dieses „kommunistische“ Geschenk Diskussionstabu und gleichzeitig Begründung einer aberwitzigen Eskalationspolitik. So wäre es sinnvoll, den AfD-Erfolg am Leitfaden von Antagonismus/Antagonismusverbot zu analysieren. Aber statt dessen werden wir – neben Jamaika – allenfalls ein Fundi-Realo-Spiel in der AfD beobachten können (Petry-Fraktion Realo, Gauland-Fraktion Fundi – Willkommen Petry in der Normalität, egal was sie „mitbringt“!).

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