das rätsel des mubarak-regimes: „autoritär“? „autokratisch“? „diktatur“? jedenfalls „stabil prowestlich“ pur.

4. Feb 2011 / Was muss passieren, damit ARD und ZDF „Selbstkritik üben“? Dass sie die Härte des Mubarak-Regimes nicht genügend „rübergebracht“ hätten? Und das seit 30 Jahren? Wo Ägypten doch ein Touristenparadies für uns Deutsche war und gefälligst bleiben soll? Wie es ein Tourist in die Kamera sagte, als er trotz allem nach Ägypten in Urlaub abflog: „Unser Kegelclub hat das längst bezahlt, und dass lassenmer uns auch nicht nehmen!“

Dabei sind die Ursachen für das Verhalten von ARD, ZDF und aller hegemonialen Medien sehr einfach zu begreifen: Zuerst gilt es zu entscheiden, ob ein Regime „prowestlich“ ist. Das bringt schon die halbe Miete. Als zweites dann, ob es „stabil“ ist, das bringt fast den gesamten Rest. Schön ist, wenn es auch noch „demokratisch“ ist – aber nur, wenn es „stabildemokratisch“ ist. Als Bush und Blair 2003 den Irak mit Shock and Awe eroberten, proklamierten sie wörtlich als Ziel eine „stable democracy“, eine „Stabildemokratie“. Sie haben bis heute nicht gesagt, ob dieses Ziel inzwischen erreicht ist, und ob im Irak heute eine „Stabildemokratie“ herrscht. Das gleiche gilt für Afghanistan, wo die Bundeswehr Unsummen an Geld und soldatischer Energie verpulvert, um das Land zu „stabilisieren“ und dort eine „prowestliche Stabildemokratie“ zu errichten. Immerhin behaupten selbst die grünen Hindukuschstürmer bisher nicht, dass dieses Ziel bereits erreicht sei.

Irgendwie bleiben bei diesen Kriterien („prowestlich?“ „stabil“? „stabildemokratisch“?) Rätsel, was man an dem Eiertanz der deutschen hegemonialen Medien bei der Frage erkennt, wie denn nun das Mubarak-Regime zu kennzeichnen sei. Bei Milosevic war das kein Problem: er war nicht bloß ein „Diktator“ (trotz weniger stark manipulierter Wahlen als bei Mubarak), sondern auch noch „totalitär“ – weil klar „antiwestlich“ und klar „destabilisierend“. Mubarak hat seit 3 Jahrzehnten sicher enorm mehr Menschen gekillt, gefoltert, von seiner Stasi (die von der ostdeutschen Stasi mit aufgebaut wurde) verfolgt als Milosevic. Aber trotzdem bezweifeln unsere Medienleute, ob er wirklich ein „Diktator“ ist. Die meisten nennen sein Regime lieber „autoritär“. Das geht auf die prowestliche Politologie des Kalten Krieges zurück, die das Bündnis der westlichen Demokratien mit Franco, Salazar & Co. legitimieren musste. Sie machte das mittels des Binarismus „autoritär“ vs. „totalitär“. Dabei lief die generative Regel so: Wenn „antiwestlich“, dann „totalitär“ – wenn „prowestlich“, dann bloß „autoritär“, was angeblich nicht so schlimm war. Dazu kommt jetzt noch „autokratisch“, was ebenfalls in Kombination mit „prowestlich“ Killungen, Folter und Stasi weitgehend entschuldigt.

Immerhin erinnern manche Medien sich heute plötzlich daran, dass Mubaraks Stasis, Folter- und Killerabteilungen seit Jahrzehnten deshalb ganz „legal“ wüten konnten, weil in Ägypten (wie auch in Algerien und anderswo) ein permanenter „Ausnahmezustand“ erklärt war. Gegen Terrorismus. Es herrschte also ein PINOschismus, eine Permanente Industrialistische Notstands-Ordnung, wie in Chile unter Pinochet. Nur so glaubte Mubarak, seinen „westlichen“ Patronen eine „prowestliche Stabilität“ garantieren zu können. Weil die große Mehrheit der Bevölkerung bitter arm und teils analfabetisch ist, so dass bei halbwegs freien Wahlen kein Zweiparteien- oder Zweilager-System mit zwei „Mitten“, die sich abwechseln können, entsteht. Also keine „Normalität“, sondern ein „Chaos“. Weil also in einem solchen Land offensichtlich eine „normale Stabildemokratie“ nicht wie bei uns automatisch zustande kommt. Nun versteht Mubarak, wie vor ihm schon Ben Ali, die (westliche) Welt nicht mehr, die von ihm das Unmögliche fordert.

Letzlich geht es also bei all dem um „Normalität“: Das diskursive Chaos, das in den Köpfen unserer Medienleute ausgebrochen ist, beruht auf dem Geheimnis, dass die Welt aufgeteilt ist in Normalitätsklassen – in Regionen mit höchst unterschiedlichen Standards an „Normalität“. Und dass in einem Land der Vierten Normalitätsklasse wie Ägypten wegen der enormen Schiefe des Lebensstandards eine „prowestliche Stabildemokratie“ nicht ohne massivste Manipulationen und Repressionen zu erwarten ist. Statt dessen fordern in einem solchen Land die Massen schlicht und einfach Volldemokratie. Aus der Sicht der Stabildemokraten bedeutet aber Volldemokratie nichts anderes als … „Chaos“.

Wenn aber die Alternative so steht: entweder eine Bewegung für Volldemokratie ohne „Stabilität“ – oder „Stabilität“ ohne Demokratie – ja was „wählt“ der „Westen“ dann wohl? Dreimal darf man raten.

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