das rätsel des „neuen normal“ – und eine normalismustheoretische antwort

22. Nov 2009 / Seit dem 17. November 2009 (Rhein-Main-Zeitung; 19.11. dann fatz) häufen sich in den Wirtschaftsmedien die Fragen, was „das neue Normal“ sei. U.a. wurde diese Frage auf der 12. Euro Finance Week in Frankfurt gleich am Anfang von 25-Prozent-Ackermann aufgeworfen; es folgten dann noch die Reden von 500 weiteren Bankern.

Ja, was ist wohl das „neue Normal“? Wir haben sicher zu recht erstmal den Verdacht, dass es sich um einen typischen Banker-Übersetzungsfehler handeln dürfte. So ist es: es soll die Verdeutschung des englischen „the new normal“ sein, was ja wohl heißen müsste: „die neue Normalität“. So hieß eine populäre Sendung auf ABC News, in der normal people erzählen durfte, wie sie ihr „old normal“ mehr oder weniger findig runterbrechen auf „new normal“. Zum Beispiel indem sie die Air Condition rauf- bzw. runterstellen, um Energie zu sparen, oder indem sie jeden zweiten Friseurtermin canceln und sich selbst frisieren, oder indem sie sonst den Gürtel enger schnallen.

Es geht also um die Störung bzw. Unterbrechung (Diskontinuität) der „alten Normalität“ durch die Krise. Es geht also um die Normalisierung der Krise – wobei aber paradoxerweise eine „nicht normale Normalisierung“ erwartet wird – d.h. eine Normalisierung, die nicht zurück zum „old normal“, zur Vor-Krisen-Normalität zu führen scheint. Darin steckt also sozusagen eine Menge Sprengstoff, weil es bedeuten würde, dass das „normale Wachstum“ (s. dazu den „Versuch über den Normalismus“, 4. Auflage Göttingen, Vandenhoeck u. Ruprecht) irgendwie unterbrochen werden könnte. Dieses „normale Wachstum“ geht in endlosen Schlangenlinien (logistischen Kurven) aufwärts: steiler, exponentieller Aufschwung, Abnahme des Steigungswinkels bis annähernd Null plus eventuell kleiner Abschwung – neuer Zyklus mit neuem Aufschwung usw. bis in alle Ewigkeit. (Das zu „wissen“ – darin besteht eigentlich alles Wissen der genialen Manager – sie wetten bloß verschieden auf die Kurvenknicks.)

Das ominöse Stichwort vom „new normal“ bedeutet also ein Menetekel: lange Unterbrechung oder gar Ende der endlosen Schlange des normalen Wachstums? Für die Wirtschaft und die Banker bedeutet es konkret das Rätsel, „wo nach der Krise […] die neuen Gleichgewichtspreise und -mengen liegen werden“ (fatz 19.11.). Noch konkreter: wo die Durchschnittsprofitrate liegen wird – ob sie dauerhaft sinkt und was das für Folgen haben wird. Natürlich durfte die Frage so (kapitalismusanalytisch) in Frankfurt nicht gestellt werden – sie durfte (bzw. konnte) nicht einmal normalismusanalytisch gestellt werden. Und was Ackermann & Co. sagten, lief auf das Platzen der Diskurs-Blase „neues Normal“ hinaus: Sie propagierten nämlich unisono ihr „altes Normal“: 25 Prozent Rendite, keine Einschränkung ihrer „Freiräume“ (Ackermann). Das Platzen der Diskurs-Blase könnte ein böses Omen für die neue wundervolle Aktien-Blase sein, die nach dem Prinzip der endlosen Schlange mit ganz kurzen Zyklen up up and away neuen „Rekorden“ zustürmt. Also: Die neuen Profite stammen im wesentlichen bloß aus der Aktienspekulation. Genau das ist  – nein nicht das „neue“, sondern das „alte Normal“.

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