der usa/nsa-komplex (incl. bnd) mit foucault und carl schmitt

11. Aug 2013 / Für Foucault-Leserinnen war es stets evident, dass die Internet-Kontrolle staatlicher Apparate das benthamsche Panopticum-Modell in gigantischem, wirklich alle Individuen der Gesellschaft erfassendem Maßstab realisieren könnte. Seit Snowden ist das nun empirisch verifiziert. Während es sich bei Bentham um ein bloßes Modell handelte, das zudem auf Gefängnisse beschränkt war, befinden sich nun alle Milliarden Individuen genau in der modellhaften Situation: Sie müssen sich ständig vom panoptischen Auge beobachtet fühlen, und es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als ihr Verhalten danach einzurichten. Konkret müssen sie z.B. erwägen, da sie das Rasterfahndungsprinzip kennen, ob sie in ihren e-mails ggf. „verdächtige“ Reizwörter lieber weglassen sollen (wie – konkreter Fall – das Reizwort „Hochdruckdampftopf“ – bzw. eben sicher auch die Reizwörter „Panopticum“ und „Foucault“). Daraus ergibt sich die Frage, warum dennoch die übergroße Mehrheit der Individuen sich „darüber keinen Kopf macht“ (und sich auch nicht an Widerstandsinitiativen beteiligt): Dazu unten.

Punkt zwei Carl Schmitt. Das geheimdienstliche Panopticum wird verschieden bezeichnet: als „deep state“ („Tiefenstaat“), als „nationaler Sicherheits-Staat“, als „Überwachungs- oder Kontrollstaat“, als „schleichender Staatsstreich“ („creeping coup d’état“), oder auch als „Postdemokratie“. Wie auch immer: Es entspricht genau dem Modell des Theoretikers und Sympathisanten moderner Notstandsdiktaturen (einschließlich faschistischer) Carl Schmitt: Souverän ist der faktische, nicht der formalpolitische, Herr über den Ausnahmezustand bzw. Notstand bzw. Zustand der politischen Anormalität. Und der tiefste Boden dieses souveränen Tiefenstaates sei der Kriegszustand mit seiner Entfesselung der Apparate des staatlichen Gewaltmonopols. Als hätte das Team des jüngeren Bush diese Theorie gekannt, erklärte es zuerst einen räumlich und zeitlich unbegrenzten fiktiven „Krieg“, den „War on Terror“ (statt einer juristisch-polizeilichen Verfolgung von Kriminellen). Auf der Basis dieses „Krieges“ erfolgte dann die Ermächtigung des „Tiefenstaates“ bis hin zu Geheimgerichten und außerjuristischen Drohnenkillungen en masse. Dass dieser „Tiefenstaat“ der Besitzer der Souveränität ist, ist seit dem Ereignis Snowden für die gesamte Bevölkerung empirisch verifiziert (auch vorher wussten es bereits kulturrevolutionäre Denker wie Giorgio Agamben, der – ähnlich wie sein Vorgänger Walter Benjamin – das Souveränitätsmodell von Carl Schmitt begriffen hatte).

Nun also zurück zur Frage, warum „wir“ (die übergroße Mehrheit) dennoch normal weiterleben. Weil wir davon ausgehen können, dass die Normalität unseres Alltags vom Tiefenstaat unbehelligt bleibt. Carl Schmitt hatte auch klar gesehen, dass jedwede politische Normalität allererst von der Souveränität gesetzt werden kann. Und der augenblickliche Tiefenstaat setzt weiter (auf) die bisherige politische Normalität, die wiederum auch die bisherige kulturelle Normalität, den flexiblen Normalismus, garantiert. Selbst wenn irgendein BND- oder Verfassungsschutz- oder MAD-Agent (oder der einer der vielen US-Dienste) kurz mal e-mails mit „Foucault“ durchcheckt, wird das – können wir annehmen – im elektronischen Papierkorb landen. Anders ist es natürlich, wenn wir mit einem arabischen Land e-mails austauschen oder telefonieren – dann ist das Reizwort „Foucault“ womöglich ein zusätzlicher „Minuspunkt“ und kann zu stundenlangen Verhören auf amerikanischen Flughäfen führen. Tendentiell behelligt der Tiefenstaat also doch auch „schleichend“ die Normalität. Man müsste analysieren, welche Praktiken-Diskurse von dieser besonderen Denormalisierung erfasst werden, und ob der flexible Normalismus auch in den  kulturellen Praktiken-Diskursen (Medienwelt, „Freizeit“, Erotik usw.) „angesteckt“ werden könnte. Wenn man als paradigmatisch die sexuellen Minderheiten nimmt, so ist ihre flexible Normalisierung scheinbar weiter auf dem Vormarsch (gestern zeigte die Tagesschau die erste schwule „weiße“, kirchliche Hochzeit) – aber was bedeutet die Speicherung aller ihrer Kontakte im Fall einer ernsthaften „postdemokratischen“ Entwicklung?

Das wirft die Frage nach dem diskursiven Ereignis „Obama-Snowden“ auf: Dieses Ereignis hat sich nun als „aggressive“ Bekräftigung des Tiefenstaates einer Ermächtigung der Dienstediktatur (Souveränität) entpuppt. Deshalb müssen Snowden und Assange wie Manning unbedingt verknastet werden und bleibt das ganze System „War on Terror“ räumlich und zeitlich unbegrenzt und wahrhaft souverän in Kraft. Man kann sich wirklich fragen wieso. Es bleibt teilweise ein Rätsel: Warum zeigen die Obama-USA der Welt (und darunter auch den „kleinen“ Weltmächten wie Deutschland) derartig unmissverständlich, wer Koch und wer Kellner ist? Es dürfte mit der zunehmenden Militarisierung der großen Denormalisierungskrise seit 2007 zusammenhängen.

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