fpö-kandidat nur 49,7% – also alles normal?

25. Mai 2016 / Dieser Titel ist eine rhetorische Frage: Diese Differenz von 0,6% der Stimmen ist eine typische Kontingenz, eine Zufallszahl in der Spanne statistischer „Fehler“. Symbolisch ist es also das gleiche Resultat, als ob der FPÖ-Kandidat gewonnen hätte. Damit lautet die Frage (und sie wurde medial gestellt – was nun aber verstummt): Ist die FPÖ (und indirekt dann auch die AfD) eine „normale Partei“? Gleich heute (25.5.2016) beantwortet Stephan Löwenstein die Frage für die FAZ in seinem Leitartikel „Volkspartei FPÖ“ mit einem klaren Ja (genauso wie „Welt“-Mann Dirk Schümer in der letzten Anne-Will-Talkshow). Die Frage fordert eine normalismustheoretische Betrachtung – was denn auch sonst? Statistisch gesehen ist ein Anteil von 50% ein klares Symptom von Normalität – aber auch Hitler hatte (zusammen mit der fast genauso faschistischen DNVP) die symbolischen 50% und mehr. Weshalb die normalismustheoretische Erörterung mit den 50% nicht zuende ist. Ein zweiter Aspekt kommt hinzu: Das politische Normalitätsdispositiv besteht in der Stimulierung einer politischen Quasi-Normalverteilung: Also mit dominanter „Mitte“ (zweigeteilt in eine linke und eine rechte Mitte), zum Rand hin abnehmenden „linken und rechten Flügeln“ – bis zur Normalitätsgrenze gegenüber „Extremisten“, die eindeutig als symbolisch „nicht normal“ medial kodiert werden. Wenn nun „Extremisten“ wie NSDAP und KPD (sie werden vom politischen Normalismus symbolisch gleichgesetzt) die Mehrheit bekommen, dann ist das das Ende der politischen Normalität. (Wohlgemerkt: Ich beschreibe normalistische Diskurse und bin der letzte, sie naiv für „wahr“ zu halten.)

Was heißt: „Nicht extremistisch, nur populistisch“?

Was folgt daraus für die symbolischen 50% FPÖ? Dass die politische Normalität in Österreich kollabiert wäre, sollte die FPÖ eine „extremistische“ Partei sein. Deshalb rennen nun Löwenstein, Schümer (und der siegreiche Van der Bellen selber) um die Wette zu sagen: Die FPÖ (und die AfD) sind ja nicht „extremistisch“, sondern „nur“ populistisch! Im Jahre 2000 gab es schon einmal eine Aufregung wegen Österreich: Es wurde eine Koalition zwischen ÖVP (CDU-Äquivalent) und FPÖ (damals unter dem Charismatiker Jörg Haider) gebildet. Damals gab es eine historische Kontroverse zwischen der deutschen und der französischen mediopolitischen Klasse: Die Franzosen sagten: „extremistisch“ und setzten eine halbjährige Kontaktsperre durch – die Deutschen sagten (in weiser Voraussicht und historischer Abgeklärtheit): nein, nur populistisch. Natürlich siegten die Deutschen. Das war ein historisches diskursives Ereignis: zwei neue Positionen (Rechts- und Linkspopulismus) wurden auf einen Schlag ins politische Normalitätsdispositiv eingebaut. Heute redet jede Medienmaske mit weisem Stirnrunzeln von „Populismus“, als ob das was Objektives wäre wie dass bei Null Grad das Wasser friert. Dabei hätten die gleichen StirnrunzlerInnen vor 2000 gar nicht gewusst, dass es so etwas wie Populismus überhaupt gibt – noch weniger, was das ist.

„Bitte nicht ausgrenzen!“

Das wissen sie aber auch heute noch nicht. Außer: Es ist ein Begriff, der es erlaubt, die politischen Normalitätsgrenzen zu flexibilisieren, ausfransen oder auch überbrücken zu lassen. Und er lässt hoffen auf Fundi-Realo-Spiele wie seinerzeit mit den Grünen: Böse Fundis ins Kröpfchen, gute Realos ins Töpfchen – vielleicht kann man eine Spaltung erreichen, am besten durch eine Koalition!  Also bitte nicht ausgrenzen (nicht jenseits der Normalitätsgrenze verorten).

Man kann es nicht oft genug wiederholen: die NSDAP war in der Weimarer Republik beileibe nicht die einzige rechtsradikale Partei bzw. Bewegung. Es gab nicht bloß die ebenfalls starke DNVP – es gab jede Menge „jungkonservative“ und „nationalrevolutionäre“ Gruppen und Grüppchen (deren Nachfolger heute im rechten Sumpf quaken). Warum gewann die radikalste Bewegung? Nicht wegen Hitlers Charisma, obwohl das auch eine Rolle spielte – nein wegen der Wirtschaftskrise und der Massenarbeitslosigkeit aufgrund der brüningschen Schäublepolitik, die heute in Griechenland 1 zu 1 kopiert wird. Wenn man also eine Prognose für FPÖ und AfD will: Es wird nicht an einem Charisma liegen (obwohl uns die Geschichte vor einem neuen Charisma behüten möge) – es wird an der weiteren Entwicklung der großen Denormalisierung seit 2007 und insbesondere seit 2015 liegen. Je stärker die Denormalisierung, umso mehr werden sich radikalere Spielarten des „Rechtspopulismus“ (auch innerhalb von FPÖ und AfD) nach vorne schieben.

Warum die Gefahr in einer „ausufernden“ Denormalisierung besteht, an deren Normalisierung das „normale politische Spektrum“ (der „rechten und linken Mitte“) scheitert

Da sind die Aussichten wirklich äußerst beängstigend. In wenigen Wochen ereigneten sich die folgenden schwerwiegenden Denormalisierungen, die sich zu verhaken drohen:

– Die Normalisierungsdiktatur der Troika (beherrscht von Berlin) hat Griechenland endgültig in die Dritte Welt versenkt (um eine Normalitätsklasse herabgestuft) – und das symbolisch desaströserweise mithilfe eine „linkspopulistischen“ (statt „rechtspopulistischen“) Partei (Syriza). Der „Kophtis“ (Klinge, Sense) legt fest, dass künftig automatisch weiter gekürzt wird (ohne Parlament und Regierung), wenn normalistische Indexzahlen „verfehlt“ werden.

– Die Normalisierungsdiktatur des IWF hat die Regierung Roussef in Brasilien gestürzt, und zwar mit einem rein normalistischen Argument: Sie soll Statistiken gefälscht haben (wie vorher schon griechische Regierungen).

– Der verzweifelte Versuch der Berliner Regierung, die Denormalisierung der Massenflucht mithilfe der Regierung Erdogans zu normalisieren, impliziert die Akzeptanz der „Terroristisierung“ der demokratischen Kurdenpartei und damit die Akzeptanz der Eskalation des Bürgerkriegs in der Türkei, die neue Massenfluchten auslösen wird.

– Im Auftrag der Regierung Merkel-Gabriel verkündet Frau von der Leyen einen radikalen Schwenk der „Verteidigungspolitik“: Ab jetzt wird die Bundeswehr wieder vergrößert: personell, waffentechnisch und vor allem finanziell. In fünf Kriegen werden das „Engagement“ und die „Verantwortung“ Deutschlands beibehalten oder hochgefahren: Afghanistan, Mali, Irak, Syrien, Libyen. Weitere „Verantwortungen“ werden erwartet.

– Die Errichtung des „Raketenschilds“ der NATO in Rumänien und Bulgarien bedroht Russland und vor allem China mit dem nuklearen Erstschlag (nach dem System: USA führen Erstschlag – Zweitschlag Chinas wird von Raketenschirm abgefangen).

(Dazu kommen all die bekannten bereits „laufenden“ Denormalisierungen im „islamischen Krisenhalbmond“.)

Die Berliner Eliten GERMROPAS habe eine grobe Vorstellung der Risiken solcher Verhakungen von Denormalisierungen (typisch sind die „graurealistischen“ Überlegungen des Kanzlerinberaters und GERMROPA-Strategen Herfried Münkler) – und sie versuchen zu „enthaken“ und „herunterzufahren“ – bleiben aber verfangen in ihrer Logik von „soft and hard power“, wozu gehört: Wenn was „aus dem Ruder läuft“, Eskalation. Und eben in ihrer normalistischen Logik, die man wie nirgends sonst in Griechenland studieren kann: Wenn das „Ziel“ des Haushaltsüberschusses um x Prozent verfehlt wird, erfolgt automatisch (!!) eine weitere Kürzung querbeet nach Rasenmäherlogik von y Prozent.  Und das muss diktatorisch durchgesetzt werden. Darin liegt der ganze Prinzipienkern unserer in Berlin herrschenden „demokratischen“ Politik.

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