lexit [clemens knobloch]

18. Jul 2016 / Eine Gruppe von linken Wissenschaftlern aus verschiedenen europäischen Ländern (darunter aus Deutschland Heiner Flassbeck, Wolfgang Streeck, Peter Wahl) schlägt ein linkes Projekt zur Beendigung der europäischen Währungsunion vor. Dazu ein erster (skeptischer) Kommentar.

[1] Das Lexit-Bündnis befürwortet einen „linken“ Austritt aus dem Euro. Das – so der Aufruf – sei die einzige Möglichkeit, die EU zu stoppen, die nur als neoliberale Globalisierungsmaschine wirklich funktioniere (im Sinne der Kapitaleliten). Der „linke“ Austritt aus dem Euro sei die einzige Möglichkeit, der Demokratie in den Mitgliedsländern wieder zu ihrem Recht zu verhelfen. Das Schuldenregime in der Eurozone (siehe Griechenland) habe die Demokratie faktisch außer Kraft gesetzt. Die überall aus dem Boden schießenden neurechten und neonationalen Populistenvereine – so der Aufruf – wollten lediglich die nationalen Grenzregimes restaurieren, um Flüchtlinge und Arbeitsmigranten (aus der EU und von anderswo) an der Einreise zu hindern. Gegen den freien Finanz- und Kapitalverkehr, gegen den Unterbietungswettbewerb der „Standorte“ in Sachen Unternehmensbesteuerung und Sozialstandards hätten sie durchaus keine Einwände. Das Schlagwort vom „xenophobischen Neoliberalismus“ (der in Ungarn, Polen, Großbritannien bereits Staatsraison und bei LePen, AfD etc. Programm sei) ist gut gewählt.

[2] Gegen diese analytischen Befunde der Lexit-Gruppe ist wenig einzuwenden. Die neoliberale Krisenmaschine rattert munter weiter. Ein paar Wochen nach dem Brexit-Referendum droht in Italien bereits der nächste (potentiell ziemlich ansteckende) Bankenkrach. Und die allenthalben propagierten Heilmittel sind just die, welche man nach der Lehmann-Pleite nie wieder in Anwendung bringen wollte (versprochen!): Steuergelder für die maladen Geldinstitute. Und gleichzeitig können wir der Versenkung Griechenlands zuschauen, dessen Regierung weiter in die Lage versetzt wird, ihre Gläubiger zu befriedigen (und dazu langfristig mehr aus der schon jetzt verarmten Bevölkerung herauszupressen). Und um auch das Gegenmodell noch in das Gesamtbild einzufügen: Alle sind voll des Lobes für Irland, das schon wieder erfolgreich vorführt, wie man dadurch internationale Großinvestoren anlockt, dass man ihnen bei der Steuerhinterziehung und Steuervermeidung in der EU (und daheim) hilfreich unter die Arme greift. Da bleibt das Lob aus Brüssel nicht aus. Warum schafft Griechenland das eigentlich nicht? Herr Juncker gilt als ehrenwerter Mann, obwohl die von ihm (daheim in Luxemburg) installierten Steuersparmodelle die übrigen EU-Länder an Steuerausfällen wahrscheinlich mehr gekostet haben, als die griechischen Schuldenlast beträgt. Schließlich kann eine nationale Ökonomie nur „wettbewerbsfähig“ werden, wenn sie Investoren hofiert: durch niedrige Steuern und/oder gut ausgebildete, aber billige Arbeitskräfte.

[3] Die Diagnose der Lexit-Gruppe mag einleuchten. Was gar nicht verfängt, ist freilich die vorgeschlagene Therapie. Die nämlich verkennt, dass (politische und ökonomische) Hegemonie eben darin besteht, aus jedem Lauf der Dinge Vorteile ziehen zu können. Und die deutsche Vorherrschaft in Europa ist u.a. auch ein Produkt der Finanzkrise. Sie ist es, die dafür gesorgt hat, dass der Schuldendienst im deutschen Staatshaushalt sich entscheidend verbilligt hat und dass deutsche Staatspapiere auch mit Negativzinsen gehen wie geschnitten Brot. Und Deutschlands demonstrativ großherziger Universalismus in der Flüchtlingsfrage ist, wenn man die Moralfassade wegzieht, ein Schritt hin zu einem neoliberal globalisierten Arbeitsmarkt, der gut ausgebildet Fachkräfte aus der Peripherie ins Zentrum lockt (aber bitte nur die, die der Arbeitsmarkt gerade braucht). Die USA machen es vor.

Der Euro etabliert europaweit den neoliberalen „Standortwettbewerb“, und er schafft und verschärft europaweit ökonomische Ungleichgewichte, wie sie auf nationaler Ebene etwa zwischen Nord- und Süditalien, zwischen Katalonien und Andalusien etc. existieren. Die gemeinsame Währung Euro, so die Standardargumentation, beraube die Länder der Peripherie der Möglichkeit, durch Währungsabwertung ihre Konkurrenzfähigkeit selbst zu regulieren. Der Euro liefere sie dem Druck der wirtschaftsstarken Länder auf Gedeih und Verderb aus. Nun haben aber zahlreiche Peripherieländer der EU (Spanien, Portugal, Polen, Irland, selbst Griechenland) die Erfahrung gemacht, dass ihnen die EU zunächst erhebliche Wohlstandszuwächse beschert hat. Die gemeinsame Währung sorgt auch dafür, dass reiche und arme Länder „in einem Boot“ sitzen. Und eines steht fest: Was Deutschland mit Griechenland gemacht hat, das kann es nicht mit Spanien, Portugal oder gar Italien wiederholen.

[4] Dennoch besteht die deutsche Regierung auf Strafen für die „Defizitsünder“ Spanien und Portugal (nachdem sie bei sich selbst vor einigen Jahren ein Auge zugedrückt hat!). Man könnte vor diesem Hintergrund nachgerade vermuten, die deutsche Wirtschaftselite selbst, die zweifellos sowohl vom Euro wie auch erst recht von seiner „Krise“ am meisten profitiert hat, nichts dagegen hätte, die Eurozone zu zerlegen oder besser gesagt: zu verkleinern. Von Schäuble ist bekannt, dass er die Griechen lieber heute als morgen „draußen“ sähe, wenn sie nur ihre Altschulden gegenüber deutschen Banken weiter in Euro bedienen würden.

Wer wissen möchte, wie sich die großen Einrichtungen der globalen Finanzspekulation zur EU verhalten, der möge das Interview lesen, das Philipp Hildebrand, Vizechef von Blackrock, der Süddeutschen (11. Juli 2016, S. 18) gab. Der (italienische) Steuerzahler habe gefälligst die italienischen Großbanken zu retten, sonst werde es für ihn (und in der Folge für alle europäischen Staaten und ihre Steuerzahler) noch viel schlimmer kommen, wenn nämlich das europäische Finanzsystem angesteckt würde. Dass die Regeln der „Bankenunion“ die steuerliche Sanierung von Banken gerade ausschließen sollen, ist den Herren von Blackrock genauso egal wie alle anderen Regeln, die sie nicht selbst erlassen haben. Das Interview zeigt jedoch zweifelsfrei, wie erpressbar die Eurozone als ganze durch ihre schwächeren Mitglieder nach wie vor ist, wenn „die Märkte“ Aas riechen. Der Souverän bestimmt über den Ausnahmezustand, und er trägt den Titel „die Märkte“.

Dass Deutschland einen „linken Exit“ hinlegt, ist angesichts der Realitäten ohnehin eine absurde Vorstellung. Und wie würde sich ein „linker Exit“ überhaupt von einem „rechten Exit“ unterscheiden? Und die wirtschaftsschwachen Länder der europäischen Peripherie wären auch nach einem Austritt aus dem Euro von ihren starken Nachbarn abhängig. Nur wären diese umgekehrt nicht mehr in so starkem Maße von deren Schwächen (und Schulden) betroffen. Und wenn Rechte und Linke gemeinsam aus dem Euro herausdrängen, dann ist die Welt der „Mitte“ doch wieder in Ordnung (und der Rest-Euro als ein Projekt der „Mitte“ verkäuflich).

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