philosophen unter sich

19. Mrz 2016 / [1] Was zuerst auffällt, das sind in der Tat die farcenhaften Rollen, in denen die Protagonisten dieser „Debatte“ auftreten: Münkler gibt den carlschmittoiden Staatsdenker und Strategen, Sloterdijk den heideggernden und wortmächtigen Bildzauberer, Safranski den thomasmannesken konservativen Bildungsbürger – alles Masken und Rollen freilich, denen der öffentliche Resonanzraum doch inzwischen weitgehend abhanden gekommen ist. Und was den am Rande mitkaspernden Richard David Precht betrifft, so warte ich seit langem auf eine Sendung im philosophischen Radio des WDR, die den Titel tragen sollte: „Kann eine Welt lebenswert sein, in der Richard David Precht als Philosoph gilt?“

Und da die Medien gerne hämisch über das „Schweigen“ der politischen Intellektuellen angesichts der Krisen und Denormalisierungen lästern, weil das ihre eigene, unangefochtene Deutungshoheit unterstreicht, präsentieren sie den Disput mit dem Vergnügen derjenigen, die wissen, dass es ein folgenloses Spektakel bleiben wird, gleich welche Seite man anfeuert.

[2] Zu den respektiven Rollen gehört es, dass Münkler Sloterdijk als einen unverantwortlichen Theatermann präsentiert, den sich Deutschland nicht mehr leisten könne, seit es gewissermaßen die europäische Gesamtverantwortung trägt (ein Linguist würde sagen: die deutsche Hegemonie in Europa wird bei Münkler präsupponiert, sie steht gar nicht in Frage). Dagegen argwöhnt Sloterdijk, die vermeintliche Strategie des Möchtegernhegemons Deutschland gleiche doch verzweifelt dem panisch-kopflosen Umsichschlagen eines Getriebenen. Es ist gar nicht auszuschließen, dass beideDeutungsmuster ein Stück „Wahrheit“ enthalten. Münkler mag näher an der Strategie, Sloterdijk näher an den Tatsachen sein.

[3] Eines steht fest: Wäre Deutschland mit der Schließung der Grenzen vorangegangen, so wäre der Traum von der europäischen Hegemonie ausgeträumt. Hegemonie verträgt sich zwar gut mit den nationalen Egoismen der Vormacht, sie verträgt sich aber überhaupt nicht mit dem Image des nationalen Egoismus. Die Vormacht braucht ein universalistisches (und möglichst sogar moralisches) Image. Man kann entweder à la Ungarn, Polen, wahre Finnen (und was es sonst noch so an „wahren“ Ethnien gibt) die nationale Eigengruppe verabsolutieren oder die Vormacht beanspruchen. Beides zugleich geht nicht. Wer für das „Ganze“ sprechen will, der darf nicht nur für sich sprechen und schon gar nicht demonstrativ agieren. Deswegen unterstützt die Wirtschaft vom ersten Tag an Merkels Kurs mehr oder weniger bedingungslos. Trägt sie doch die „Gesamtverantwortung“ in der marktkonformen globalen Demokratie.

[4] Der Teufel steckt also insofern im Detail, als das strategische Kalkül der deutschen Politikelite tatsächlich die „Rettung“ des Schengenraumes, die Abstrafung (und Abstufung) Griechenlands, der Aufbau eines moralisch-universalistischen Images gewesen sein könnte. Was jetzt tatsächlich passiert, könnte aber auch auf das Gegenteil hinauslaufen, weil man doch einige Rechnungen ganz ohne den Wirt gemacht hat. Der Deal mit der Türkei hätte zwar den Vorteil, die Elendsbilder an die Peripherie zu bannen. Aber wenn erst einmal größere Mengen von Flüchtlingen zwischen Griechenland und der Türkei hin und her geschoben werden, dann könnten die Dinge dort auch rasch explosiv werden. Und angesichts des eskalierenden Krieges der Türkei gegen die Kurden wäre womöglich eine kurdische „Flüchtlingswelle“ für die nächste Zeit vorprogrammiert. Mit der zugesagten Visums- und Reisefreiheit für türkische Staatsbürger bräuchte, wer aus Diyarbakir kommt, keinen Asyl- und auch keinen Visumsantrag zu stellen.

[5] Nach dem erfolgreichen Auftreten von Frau Merkel als „eiserne Lady“ in der Griechenlandkrise und in der Durchsetzung des Austeritätsregimes in der Europäischen Union könnte sich der zweite Auftritt als „Mutter Theresa“ der nahöstlichen Kriegsflüchtlinge als ein strategischer flop erweisen, als eine Maßnahme, die das erwünschte moralisch-universalistische Image gerade nicht dauerhaft zu sichern vermag. Zu GERMROPA gehören aber wohlgemerkt beideOptionen.

Allerdings gilt auch, dass die gerade stattfindende Verlagerung des Flüchtlingselends an die europäische Peripherie (nach der faktischen Schließung der Balkanroute), in das versenkte Griechenland und das ohnehin völlig verarmte Mazedonien, auch selbst wieder strategische Optionen für den Hegemon eröffnet: Nicht zuletzt die im Hintergrund bereits zirkulierende „humanitäre Intervention“ der Vormächte an den EU-Außengrenzen – auch gegen den Willen der peripheren Staaten (was insbesondere Griechenland betreffen und zu dessen weiterer Destabilisierung beitragen würde). Zu den von Münkler verschiedentlich geäußerten „Visionen“ einer mehrschichtigen EU würde das durchaus passen.

[6] Halten wir also fest: Wenn die strategische Rechnung der Regierung aufginge, dann stünde am Ende eine Ordnung, in der Deutschland zugleich das globale Image einer flüchtlingsfreundlichen und humanitären europäischen Vormacht erworben hätte und den schmutzigen, imageschädlichen Teil der Flüchtlingskrise an die Peripherie bannen könnte.

„Zeittechnisch“ wäre es kaum möglich gewesen, die griechische Regierung gleichzeitig in der Staatsverschuldung auf Linie zu bringen und sie für die Flüchtlingskrise verantwortlich zu halten. Ob ein solchermaßen denormalisiertes Land überhaupt in die Rolle der Flüchtlingspolizei gepresst werden kann, wird sich erweisen. Wenn nicht, dann: s.o. unter „humanitärer Intervention“.

[7] Die Debatte der Intellektuellen dient gewiss auch dem Ausloten möglicher Resonanzräume in der Öffentlichkeit. Dabei bedient Münkler die coolen Realisten der Vorherrschaft, die „entspannten Systemfatalisten“ (würde Bude sagen), Sloterdijk bedient die Empörten und Ängstlichen, die AFD-Klientele, die nicht begreifen will oder kann, dass der EU-Hegemon und Exportweltmeister nur mit einer weltoffenen Version der deutschen Leitkultur betrieben werden kann und nicht als Retro-Volksgemeinschaft der „wahren Deutschen“.

Die nämlich müsste in einer Welt, die in ihren konkurrierenden Zentren (New York, San Francisco, London, Singapur..) mit großer Selbstverständlichkeit multiethnisch, multinational, multikulturell ist (oder jedenfalls ein solches Image erfolgreich zu präsentieren vermag) ziemlich rasch ihre Koffer packen.

Sloterdijks Lob des Krisenlabors, in dem plötzlich über andere Möglichkeiten gesprochen werden kann und muss, ist gegen Münklers coolen Realismus kein schlechter Schachzug – aber vielleicht dann auch wiederum kein so guter, angesichts der Tatsache, dass Krisen und Denormalisierungen längst zur „normalen“ Herrschaftstechnik rechnen. In aller Regel erweitert das Ausrufen einer Krise den Handlungsspielraum der Mächtigen, während die Krise für die Ohnmächtigen Wegducken und „alternativlose“ Duldungsstarre bedeutet.

[8] Auf den ersten Blick sehr hübsch ist auch Sloterdijks Pawlow-Passus: der bedingte Reflex als Metapher für die Biologisierung der Machttechniken („Die Physis wird von der Zeichensphäre überlistet“). Aber die mitgelieferten kulturkritischen Kommentare sind nicht wirklich weiterführend. Was Sloterdijk da als „Entkulturalisierung“ geißelt, das ließe sich ganz ebenso auch als „Kulturalisierung“ unserer zweifellos vorhandenen biologischen Naturanteile verstehen. Am Ende stilisiert sich Sloterdijk nur als gebildetes Opfer beißwütiger Reflexhansel (was einmal mehr beweist, dass die Opferrolle immer noch eine diskursiv sichere Bank ist!).

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