wenn die kopflanger des deutschen verantwortungs-trägers sich in die haare geraten: münkler gegen sloterdijk/safranski

8. Mrz 2016 / Herfried Münklers bismarckisch-„coole“ geostrategische Behandlung der EU-Krise ist in diesem Blog bereits zur Genüge dargestellt und kritisch analysiert worden. Sein „Grand Design“ eines „Umbaus Europas“ unter deutscher Hegemonie (Publikation „Die Macht in der Mitte“ sowie FR-Interview vom 14.7.2015) wurden ausführlich präsentiert. Münkler erwies sich als wichtiger „Kopflanger“ (Brecht) der deutschen Regierung, indem er insbesondere Schäuble dessen implizites Projekt GERMROPA explizit vorbuchstabierte: Eine EU aus drei Normalitätsklassen: einem Kern aus Deutschland plus Frankreich und Benelux, erweitert um Österreich und die skandinavischen Länder – einer zweiten Normalitätsklasse aus Italien, Spanien, Polen und einer dritten Normalitätsklasse (also einer „Peripherie“ mit Normalitätsstandards der „oberen“ Dritten Welt). Das FR-Interview handelte hauptsächlich von der griechischen Krise und drohte dem Land sogar den „Abstieg“ in die vierte Normalitätsklasse und damit den Ausschluss aus GERMROPA an.

Am 20.2. 2016 hat Münkler nun unter dem schon beleidigenden Titel „Wie ahnungslos kluge Leute doch sein können“ eine wütende Polemik gegen „die zeitweiligen philosophischen Lehrmeister der Republik“ und (ironisch) „Vor-Denker“ Sloterdijk und Safranski eröffnet. Er verteidigt gegen deren Forderung nach Grenzschließung und Selbstbehauptung nationaler Souveränität die „Option“ der Grenzöffnung vom 5. September 2015. Und er verteidigt sie mit dem bekannten bismarckisch-coolen Gestus gegen eine „Neigung zu einem Denken in Metaphern“ (unsereins würde sagen: gegen semsynthetisches Denken) und gegen „die strategische Unbedarftheit ihres Geredes“: „ihres“ bezieht sich auf „Intellektuelle“, zu denen Münkler sich offensichtlich nicht zählen möchte – er sieht sich als meta- und hyperpolitischer „Stratege“.

Wie verteidigt er die Merkel-Entscheidung von 5. September? „Mindestens drei Aspekte spielten eine Rolle bei der Berliner Entscheidung, die europäische Herausforderung durch die Flüchtlinge zunächst allein anzugehen: zu verhindern, dass eine Politik der nationalen Grenzregime auf den Anfang vom Ende des Schengenraums und damit der EU als Ganzes hinauslaufen könnte; dafür zu sorgen, dass es auf der Balkanroute zu keinem Flüchtlingsstau kam, der zum Zusammenbruch der dortigen Staaten führen würde; zu vermeiden, dass Deutschland als derjenige dastand, der aus nationalem Egoismus heraus beides zu verantworten hatte. Die unmittelbaren „Kosten“ einer solchen Entscheidung waren klar [… Aufstand Osteuropas, Aufstieg AfD]. Dennoch entschied man sich dafür, die deutschen Grenzen offen zu halten und das Gebiet der Bundesrepublik als Raum zum Gewinn von Zeit zu nutzen. Der Tausch Raum gegen Zeit ist ein Grundelement strategischen Denkens.“

Man wüsste gern, ob Münkler hier dem anonymen „man“ des V-Trägers nur nachbuchstabiert oder ob er ihm tatsächlich vorbuchstabiert hat.

Was in Münklers Rekonstruktion fehlt: die Rolle der Versenkung Griechenlands für die Entscheidung vom 5. September

Münklers Rekonstruktion klingt auf den ersten Blick tatsächlich sehr viel realistischer als sloterdijksche „Philosophie“. „Tausch Raum gegen Zeit“ hört sich toll carlschmittisch an. Der Zusammenbruch der Balkanstaaten war eine reale Gefahr für das Projekt GERMROPA aus drei „Ringen“ (Normalitätsklassen) – ebenso wie „dagestanden zu haben als“ tatsächlich die deutsche Hegemonie auf ein Schlag aufs schwerste hätte schädigen können. Aber wie sich seither gezeigt hat: Auch die Entscheidung vom 5. September (ob nun auf Mit-Anraten Münklers getroffen oder nicht) hat die deutsche Hegemonie aufs schwerste geschädigt. Und das hängt mit der Versenkung Griechenlands zusammen, wie in diesem Blog seit langem erklärt. Denn in der Tat musste Berlin am 5. September „Zeit gewinnen“ – weil es kostbare – und nicht zurückgewinnbare – Zeit verloren hatte mit der Versenkung Griechenlands, die aber für Münklers GERMROPA-„Umbau“-Projekt unabdingbar war. (Man lese sein FR-Interview vom 14. Juli.) Denn all die Schritte einer Normalisierung, die nach Münklers heutiger Analyse in der seit dem 5. September „gewonnenen Zeit“ unternommen wurden und werden (stufenweise Schließung der „Balkanroute“; Verhandlungen mit der Türkei; wenigstens eine abgespeckte Spielart von „europäischer Umverteilung“, mehr Geld und Personal für die Lager an den syrischen Grenzen), erwiesen sich als „zu spät und zu wenig“ – während sie in der ersten Hälfte von 2015 durchaus halbwegs erfolgreich hätten sein können. Denn seit Anfang 2015 und insbesondere seit dem Frühjahr hatte sich die Balkanroute entwickelt bis schließlich zur Massenflucht. Als Kammenos darauf hinwies, wurde das „Thema“ schnell wieder aus den Medien genommen, um Schäubles Diktat (Münkler: „Zuchtmeister Deutschland“) nicht zu stören. Nichts fürchtete Berlin (bis heute) so sehr wie eine Kopplung der griechischen Schuldenkrise mit der „Flüchtlingskrise“: „keinen Euro Rabatt für Griechenland wegen der Flüchtlinge“ hieß und heißt das (von Münkler radikal unterstützte) Berliner Prinzip. Statt etwas Geld gegen Zeit zu tauschen, verbrannte Berlin viel Zeit für wenig „gespartes“ Geld.

Griechenland als Schuldenkolonie Berlins nun Hotspot und Polizeistaat gegen Flüchtlinge?

Tatsächlich ging es Berlin niemals um 20 oder 30 Milliarden Schuldenerlass für Griechenland – wie die Spendierhosen „ohne Obergrenze“ für die Türkei nun beweisen. Es ging um ein Exempel: Wer sich gegen den Zuchtmeister der EU auflehnt, muss bestraft werden: nicht nur mit der Versenkung in eine untere Normalitätsklasse (ohne auch nur minimal ausreichende Netze sozialer Sicherheit), sondern mit zusätzlichen Strafen. Dazu gehört die Verwandlung des Landes in einen riesigen Hotspot, während die Bevölkerung in Arbeits- und medizinischer Versorgungslosigkeit dahinvegetiert. Und schon zeichnet sich eine weitere Versenkung ab: in einen erzwungenen Polizeistaat, der für Berlin und Brüssel die „Drecksarbeit“ des Zurückprügelns verzweifelter Flüchtlinge (Frauen und Kinder inclusive) auf die Schiffe erledigen soll, die nach dem Deal mit der Türkei zwangsweise nach dort zurückdeportiert werden sollen. Nach dem globalen Normalismus nimmt ja auch die politische Normalität von der ersten bis zur untersten, fünften Normalitätsklasse schrittweise ab. Ab der dritten (Türkei, aber neuerdings auch Griechenland)nimmt die Demokratie entschieden ab – ab da wird die „Stabilität“ immer stärker mit diktatorischen Mitteln garantiert – bis zur untersten, fünften Klasse mit ihren „failed states“ (schon hat der große deutsche Ökonom Sinn Griechenland als solchen definiert: ebenfalls als Kopflanger für den deutschen V-Träger).

 

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