26 Apr albtraum? „russland will 3. weltkrieg anzetteln“ – was suchen die stabsärztebrüder in slavjansk oder: wohin führt die „gewachsene deutsche verantwortung“? quousque tandem: schreibtischtäter wie 1914
26. Apr 2014 / „Russland will 3. Weltkrieg anzetteln“: Das ist kein Albtraum, sondern die realexistierende Schlagzeile der Fatz an diesem 26. April 2014 (nicht: 1914). In Gänsefüßchen, aber bloß in der Unterzeile als Zitat von Jasenjuk ausgewiesen. Und Jasenjuk ist immerhin der aktuell wichtigste offizielle Adressat der „gewachsenen deutschen Verantwortung“. Schlagzeile am gleichen Tag (Watz): „Ukraine: Rebellen setzen deutsche Beobachter fest“. Aber BILD setzt weiter auf Normalität: Schlagzeile was mit Trennung von Heino (oder Heintje was weiß ich), bloß unten das mit den „Deutschen“, die hier in der Hand von „Putin-Rebellen“ (immerhin: nicht „Terroristen“) sind. Man kann daraus schließen, dass BILD eher auf Deeskalation, und die Fatz eher auf Eskalation setzt. Also alles normal und zurück zu Heino-Heintje-Heinckes?
Das mindeste, was man denken und auch sagen muss, ist aber: Diese Eskalation darf nicht der mediopolitischen Klasse überlassen werden – denn das sind ja mehrheitlich kleine oder große „Verantwortungs-Träger“. Hier muss ich wieder an meinen Roman „Bangemachen gilt nicht auf der Suche nach der Roten Ruhr-Armee. Eine Vorerinnerung“ (assoverlag Oberhausen, 29 Euro 90) erinnern. Darin sind Eskalationen des deutschen „V-Trägers“ („Verantwortungs-Trägers“) und seiner „Wehr“ voraus-simuliert, und es wird spannend, satirisch und poetisch erzählt, wohin uns der V-Träger führen wird, wenn ihm die „Verantwortung“ für Eskalationen überlassen wird. Und da spielen auch die „Stabsärztebrüder“ mit: drei Brüder, die alle in der Bundeswehr engagiert sind. Sie werden übrigens nicht an die russische Grenze simuliert – das war den Ursprünglichen Chaoten, die die Geschichten erzählen, einfach nicht vorstellbar. (Also: Auch mir persönlich war das nicht vorstellbar.)
Aber jetzt ist es „Fakt“: Unter welchem OSZE-Mantel auch immer diese realexistierenden Stabsärztebrüder in Slavjansk „Verantwortung übernommen“ haben – weiß denn niemand, was die Wehrmacht in diesen Städten angerichtet hat?Ist es denn überhaupt zu fassen, dass deutsche Soldaten (in welchem Mantel auch immer) in diesen Städten wieder militärische „Verantwortung übernehmen“?
„Wir können sowieso nix machen – die Politiker machen doch sowieso, was sie wollen“??!! Wir können uns immerhin zum Beispiel die Redakteure (oder -innen) der Fatz bei der Arbeit vorstellen – wie sie über die Schlagzeile der FrontPage (nomen est omen) entscheiden. Dass Jasenjuk das gesagt hat, ist ein Fakt – aber ist es ein „nackter Fakt“? Muss man nicht unbedingt hinzufügen, dass sich in einem solchen Spruch doch klar der Wunsch des Sprechers ausdrückt, es möge einen 3. Weltkrieg geben, damit NATO und Bundeswehr zum „Kriegseintritt gezwungen“ werden? Muss man nicht medial fordern, sofort jede Art von „Mechanismus“ abzustellen, die Leuten wie Jasenjuk diese Hoffnung gibt? Muss die mediale Klasse nicht laut und deutlich sagen: Wie immer Putin sich einem Diktator nähert, Deutschland wird niemals – unter keiner denkbaren Begründung und „Verantwortung“, „gezwungen“ von keinem „Mechanismus“ – in einen Krieg gegen Russland „eintreten“? Stattdessen werden einfache Leute, bei denen noch nicht sämtliche Tassen im Schrank kaputt sind, mit dem 1914-typischen Hetzwort „Putin-Versteher“ belegt.
Ohne mediale Schreibtischtäter wäre der 1. Weltkrieg weder mit solcher „Begeisterung“ „ausgebrochen“ noch hätte er so lange dauern und so viele Millionen Tote kosten können. Ein Aufstand der Zivilgesellschaft gegen die neuen Schreibtischtäter ist etwas Denkbares. Ich habe ein lateinisches Zitat eingesetzt (Quousque tandem: lustig! das Programm will tandem unbedingt groß schreiben!) – Bildungsschrott, der aber vielleicht im Netz Neugier erweckt: So begann Cicero seine berühmteste Rede, und es heißt: „Wie lange eigentlich noch?“ Ja, wie lange eigentlich noch soll das weitergehen mit der „gewachsenen deutschen Verantwortung“?
Jetzt ist die Intelligenz und die Ironie von Karl Kraus wieder gefragt. Kraus musste 1914-1918 unter scharfer Zensur schreiben. Aber er erfand wunderbare Tricks: So meldete er, wenn in Wien lange Schlangen vor den Geschäften standen und viele Todesanzeigen die Zeitungen füllten, dass – in Paris, London und Sankt Petersburg riesige Schlangen vor den Läden ständen und die Zensur Todesanzeigen verbieten würde. WNLIA: Weder noch lieber irgendwie anders. Weder Putin noch Jasenjuk, sondern eine Garantie, dass ein Krieg gegen Russland in keinem denkbaren „Szenario“ in Frage kommt – jedenfalls nicht mit deutscher Beteiligung.