bernd ulrich über schäuble: „dieser mann will eine revolution“ – fragt sich nur, was für eine.

10. Jun 2016 / In der ZEIT vom 9. Juni 2016 hat Bernd Ulrich unter dem obigen Titel seine Eindrücke und Stimmungen während eines dreistündigen (!) Gesprächs mit dem großen Elder Statesman zusammengefasst. Leider mehr eigene Eindrücke und Stimmungen als Zitate. Die wenigen Zitate allerdings sorgen für Furore quer durch die Medien: „Die Abschottung ist doch das, was uns kaputt machen würde, was uns in Inzucht degenerieren ließe. Für uns sind Muslime in Deutschland eine Bereicherung unserer Offenheit und unserer Vielfalt. Schauen Sie sich doch mal die dritte Generation der Türken an, gerade auch die Frauen! Das ist doch ein enormes innovatorisches Potenzial!“

Nanu: Schäuble jetzt ein Multikulturalist?

Da braucht es etwas historische Rückblenden: Tatsächlich gab es (als Minderheit) in der Zeit des Kolonialismus und offiziellen Imperialismus eine paradoxe, scheinbar antirassistische, aber nicht weniger biologistische Position (auf die sich Schäuble hier  – vielleicht halb unbewusst – beruft): Diese Position sah in einer begrenzten „Rassenmischung“ mit den Kolonialvölkern eine Möglichkeit, das „Erbgut“ zu verbessern statt zu verschlechtern. Sie war besonders unter exotistischen Künstlern verbreitet (wie etwa Robert Müller in seinem Roman „Tropen“, dazu die Studie von Thomas Schwarz). Allerdings zeigt eine genaue Lektüre des Schäublezitats, dass die weise Stimme der deutschen Hegemonie nicht einmal so weit geht: Denn von Mischung ist gar keine Rede – „die Türken“ sind noch in der dritten Generation eine andere Sorte als „wir“ – „Inzucht“ und „Degeneration“ (typische Grundbegriffe des damaligen Mehrheitsrassismus) sind offensichtlich metaphorisch, nicht wörtlich gemeint. Das „Potenzial“ der „türkischen Frauen“ ist also bloß ökonomisch zu verstehen – sind die muslimischen Kopftücher vielleicht sogar eine willkommene Bremse gegen wirkliche Multikultur?

Die „Revolution“ bezieht sich auf Afrika

Worauf also will Schäuble wirklich hinaus? Da gibt es wieder ein solches fragmentarisches Zitat: „Hart gesagt, hat uns der Mittlere Osten Afrika vom Hals gehalten. Das ist jetzt vorbei. Afrika wird unser Problem sein, wir müssen diese Aufgabe annehmen.“ Wer ist „wir“? Offensichtlich „Deutschland“. An anderer Stelle habe Schäuble die USA kritisiert, dass sie immer noch nicht mit Lateinamerika zurechtkämen – ganz offensichtlich ist Afrika das für „uns“, was Lateinamerika für die USA ist: „unser Hinterhof“. „Eines ist doch klar für die Zukunft: Wir werden mehr im Irak investieren müssen, in Syrien und in Libyen, und dann werden wir in der Subsahara mehr für deren Entwicklung bezahlen müssen. Dann machen wir vielleicht endlich ein paar Marktöffnungen“ – auch wenn „unsere“ Bauern im Quadrat springen, fügt der Sprecher auf Nachfrage hinzu. Wie schon in früheren Artikeln in der FAZ, die in diesem Blog analysiert wurden, denkt Schäuble in ganzen Kontinenten, wirklich gigantisch geostrategisch. Was für „Investitionen“? In der FAZ gab es noch Klartext: erstmal natürlich militärische (welche auch sonst in Irak, Syrien, Libyen?). Und Mali fehlt! Nebenbei ein wichtiger Grund für die „schwarze Null“: Sie ermöglicht einen ganz besonders hohen Militärhaushalt.

Des Pudels Kern: GERMROPA als Weltmacht Nummer 2 braucht ein bisschen „Vielfalt“!

Wenn Deutschland („wir“) also ganz Afrika (und den Mittelosten) als „Bürde“, wie Kipling sagte – wir sagen statt dessen heute „Verantwortung“ – übernehmen „muss“, dann brauchen „wir“ erstens eine knallharte Hegemonie in Europa. „Wir“ müssen in Brüssel bestimmen, wo es in Europa lang  geht. Dazu war das Exempel die großartig gelungene Versenkung Griechenlands. Mit dem Blick auf Afrika erscheint die Verelendung der Mehrheit von 11 Millionen Griechen wirklich eine Lappalie, genauso wie die Lage unserer Bauern. Den Leuten in „Subsahara“ geht es doch noch viel schlechter! Ja „wir“ brauchen gar nicht so viel „Wachstum“ mehr „zuhause“ – „wir“ (na klar: „unsere “ Investoren: Banken und Konzerne) wachsen statt dessen umso schneller in Afrika und Mittelost (nach den Investitionen der Bundeswehr sollen die Investitionen in Billiglöhne kommen). Wenn aber Afrika „unser“ Kontinent werden soll, dann geht es nicht länger an, dass bei „uns zuhause“ Schwarze und Arabischsprechende angepöbelt oder ihre Heime gar angesteckt werden. „Von den ‚Gleichgeschlechtlichen‘ habe das Land Toleranz gegenüber Minderheiten gelernt“! Und da hätten die 68er (die der Sprecher bis auf Blut bekämpfte!) „Lernstufen zu einem Zivilisationsniveau“ erklettert. „Lasst uns doch mal ein bisschen gnädiger sein mit den Menschen.“ (So wie mit Varoufakis bzw. mit den von ihm vertretenen 10 Millionen Menschen ein  halbes Jahr lang und seitdem täglich mehr.)

Schäubles „Revolution“: Ganz einfach „unser“ dritter Griff zur Weltmacht – der „dritte Versuch des deutschen V-Trägers“, wie es in der Vorerinnerung heißt

Allerdings werden viele Bernd Ulrich folgen und in Schäubles (und Merkels, die er jetzt zu bewundern behauptet) Linie einen willkommenen Bündnispartner gegen die AfD sehen. Dabei beruht GERMROPA ebenfalls auf einem Neonationalismus, und zwar auf einem auf tödlich riskante Weise neoimperialen. Schäuble lädt uns ein, dabei mitzumachen – gegen offenen Rassismus, der nur schaden kann. Wir werden demnächst oft hören, dass „unsere“ Militärinterventionen im islamischen „Krisenhalbmond“ und in Afrika antirassistisch seien, und man wird uns nötigen wollen, dafür zu sein, weil die AfD dagegen sein wird.

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