„bodenbildung“ — eine metapher aus dem kollektivsymbol des gebäudes — und was dahinter steckt.

11. Apr 2009 / Seit Ende Februar 2009 zieht sich der Interdiskurs unserer westlichen Massenmedien buchstäblich hoch an der Metapher der „Bodenbildung“ („bottom building“). Die „Experten“ der Regierungen und die „Analysten“ der Banken , von denen keiner die Megakrise von 2008ff. prognostiziert hat, deren Diskurs-Blasen also genauso geplatzt sind wie die Derivate der Banker, sagen nun voraus, dass der Dow nicht mehr unter 7000 und der Dax nicht mehr unter 4000 sinken wird. Man kann sich das gut vorstellen: Die Türme der Banken sind symbolisch eingestürzt, sogar wie das Kölner Archiv bis tief in den Boden hinein (von 14000 Dow und von 8000 Dax) – irgendwo muss aber ja der Fels erreicht werden, auf dem dann solide neue Türme gebaut werden können. Und genau das empfehlen die Experten den Anlegern jetzt mittels ihrer Prognosen: Der Boden ist gebildet! Steigt wieder alle in Aktien ein!

Worauf beruht diese angeblich „wissenschaftliche“ Prognostik (mit all ihren sogenannt „technischen“ Finessen als da sind „mehrfaches Testen des Bodens“, durchschnittliche Wachstumsraten der Kurse in 3 Monaten, 200 Tagen usw.)? Imgrunde bloß auf einem banalen Kollektivsymbol: Wenn ein Gebäude einstürzt, muss irgendwo darunter ein fester Boden sein. Was aber ist der eigentliche Sinn dieses Symbols? Er bleibt unausgesprochen wie oft bei Kollektivsymbolen – er bleibt im toten Winkel der Reflexion und lautet im Klartext: Seit Ende Februar 2009 funktionieren die Börsen, nachdem sie letztes Jahr plötzlich „verrückt gespielt“ hatten (also ein Fall für den Psychiater, weil „anormal“ geworden waren), Adam Smith sei dank wieder „normal“.

Damit sind wir bei einem ganz wichtigen kulturellen Kern der Krise, der aber vom hegemonialen (herrschenden) Diskurs im Vagen gelassen wird: Der Kapitalismus ist nicht nur ökonomisch, er kann allein ökonomisch nicht existieren, er braucht eine kulturelle Versicherung – und eine der wichtigsten kulturellen Versicherungen ist die Produktion und Reproduktion von Normalitäten, also der Normalismus.

Die Experten sagen also mit ihrer „Bodenbildung“: Die Unterbrechung der Normalität an den Börsen ist zuende, ab jetzt geht es wieder aufwärts in normaler, d.h. „endlos wachsender Schlange“: Aufschwung, „Konsolidierung“, d.h. kleiner Abschwung, aber nicht unter die letzte „Talsohle“, wieder Aufschwung usw. Darin steckt eine weitere Prognose: Die Krise war (sie sehen sie schon als abgehakt) letztlich eine „normale“ Krise, die nicht länger als höchstens 2 Jahre dauert, dann kommt der nächste „normale“ Zyklus. Also: Es wird keine Depression, d.h. keine ernsthafte Denormalisierung (Verlust von Normalität) geben.

Woher nehmen sie ihre Sicherheit? Hier ist der springende Punkt, ein perfekter Zirkel: Die Normalität wird zurückkehren, weil alles andere nicht normal wäre! Symbolisch: Unter jedem Zusammenbruch ist irgendwo unten fester Boden. (Als ob die Fluktuation von Werten, Profiten und Profitraten einem Gebäude analog wäre!) Es gibt also einen kollektiven „Willen zur Normalität“, der an die Wurzeln moderner westlicher Kulturen reicht. Die Normalismus-Forschung analysiert diese Zusammenhänge – und sie kann deshalb zu einer ernsthaft alternativen Prognostik beitragen, auf die alle angewiesen sind, die sich nicht mit Kollektikvsymbolen abspeisen lassen wollen.

Mehr dazu in: »Ein 11. September der Finanzmärkte.« Die Kollektivsymbolik der Krise zwischen Apokalypse, Normalisierung und Grenzen der Sagbarkeit (PDF).

Aus: kultuRRevolution 55/56, Februar 2009.

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