cem özdemir, angela merkel und die rätselhafte subjektqualität der „märkte“ (und was der v-träger dazu sagt)

21. Jul 2011 / Cem Özdemir wirft Angela Merkel ihre Entscheidungsschwäche vor: Sie solle nicht immer hinter „den Märkten“ herlaufen, sondern endlich die Vorherrschaft der Politik wiederherstellen. Wie sie das machen soll? Indem sie „ein starkes Signal an die Märkte sendet“ und „die Märkte endlich wieder beruhigt“ usw. Wie aber, wenn Merkel realistischer wäre als Özdemir? Denn wer sind „die Märkte“? So wie alle unsere Medien und Politiker von „den Märkten“ reden, sind es personale Subjekte – genau von derselben Sorte wie Merkels „Menschen“. Es gibt „die Menschen“ (bei denen zum Beispiel „der Aufschwung ankommt“) – und es gibt „die Märkte“. Beide „machen sich Sorgen“, sind „nervös“, sind „beunruhigt“, können „in Panik geraten“ oder „sich wieder beruhigen“ – ja sie können auch „jubilieren“ und dann „eine Kursrakete hinlegen“. Sind „die Märkte“ also einfach auch „Menschen“? Genau da fängt das Rätsel an, zu dem Özdemir offensichtlich noch gar nicht vorgedrungen ist, weil er gar nicht merkt, dass er selber genauso wie Merkel glaubt, das Wichtigste in „der Politik“ wäre, „die Märkte endlich zu beruhigen“.

Tatsächlich haben alle realistischen Beobachter aus der Krise inzwischen folgendes gelernt: Der ungeschriebene Grundgesetz-Artikel Null heißt „Was die Politik nicht entscheiden kann, entscheiden in letzter Instanz die Märkte“. Worum geht es bei allen Wochenend-Krisensitzungen seit dem Beginn der Krise im Jahre 2008? Darum, dass am Montag „die Märkte nicht in Panik geraten“. Das schlimmste „Signal an die Märkte“ wäre aber das von Ozdemir vorgeschlagene, nämlich als führender Politiker laut zu schreien: „Die Politik muss über die Märkte herrschen“. Das würde „die Märkte“ ganz sicher nicht „beruhigen“, da würden sie vielleicht sogar „total durchdrehen“. Denn offensichtlich sind „die Märkte“ sehr eigenwillige und höchst empfindliche Subjekte, die sich einer „Diktatur der Politik“ niemals unterwerfen würden, im Gegenteil: eine solche Politik würden sie „gnadenlos abstrafen“. Das können sie nämlich, und das bereitet Angela Merkel die größten Sorgen.

Offenbar kommt man aus dem Rätsel und aus der ständigen Sorge um die „Stimmung der Märkte“ nicht heraus, solange man „die Märkte“ für quasi-menschliche Subjekte hält und „psychologisch“ behandeln möchte. Was „die Märkte“ angeht, so hat tatsächlich der alte Marx dieses Rätsel ein für allemal gelöst: „Die Märkte“ mit ihren inzwischen vom Computerhandel in Sekundenbruchteilen ixmal um den Globus „gefluteten“ Billionen sind un-menschliche Mechanismen, die sich nach dem Profitkriterium („Gewinnmarge, Wettbewerbsfähigkeit, Effizienz“) bewegen – von denen die Menschen „gnadenlos abgestraft“ werden, wenn sie die „Wettbewerbsfähigkeit“ nicht an die erste Stelle setzen möchten – mehr noch: von denen die Menschen ein bloßes Anhängsel darstellen, die die Menschen längst nicht mehr „beherrschen“ können, die auf noch so „starke Signale“ der Politik in gewissen Situationen einfach pfeifen.

Am Punkte dieser Einsicht beginnt dann eine andere Betrachtungsweise. Es zeigt sich dann, dass hinter Angela Merkels Entscheidungsschwäche ein Dilemma des „deutschen V-Trägers“ („Verantwortungs-Trägers“) steckt: Wie soll der deutsche V-Träger seine Hegemonie in Europa bewahren und verstärken – durch offene Staatspleiten der Mittelmeerländer und ihren Austritt aus dem Euro, wodurch sie wieder nationale Verantwortung (V) bekämen – oder durch Eurobonds, wodurch ihre Integration verstärkt würde? Das Entscheidende wäre in beiden Fällen die Durchsetzung der Hegemonie – bei welcher Variante würden die „Südvölker“ lauter über „deutsche Diktatur“ schreien?

Für eine solche alternative Sicht hat der Roman „Bangemachen gilt nicht auf der Suche nach der Roten Ruhr-Armee“ (assoverlag Oberhausen) fantasievolle und satirische Modelle entwickelt: Dort wird auch die Rede von „den Märkten“ (als ob sie menschliche Subjekte wären) lustig beim Wort genommen. Dort sind Crashe und Krisen „der Märkte“ und „der Politik“ witzig vorerinnert. Und eben der V-Träger, dessen „Bauch“ bzw. dessen „Unterbewusstes“ eben die Märkte sind. Daran leidet der V-Träger zuweilen sehr tieftragisch und fühlt sich dann wie der zerrissene Wille „seines Philosophen“ (Schopenhauer). Und schimpft auf „seine Politik“. Zu Özdemir würde er sagen: Halt endlich die Schnauze, was die Krise angeht, bleib bei deinen AKWs, ich kriege Bauchschmerzen wenn du redest, mein Bauch sind meine Märkte, die reagieren allergisch auf dich, wenn du wüsstest, wie nervös ich meine Märkte in meinem Bauch in diesen Wochen fühle! Das ist schon kein Ziehen mehr, das sind Koliken, besonders wenn du dich auch noch einmischst! Lieber Cem, hör auf mich zu quälen! Ich bin doch die Kuh, die auch deine Milch geben muss!

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