kollektivsymbolik marsch! mitte pur! macron und der wille zum ruck eines flexiblen radikalnormalismus

VORAB: FAIRE BARRAGE À LE PEN! WIE UND WER?

8. Mai 2017 / Woher hat Macron die fast dreimal so vielen Stimmen bekommen wie beim ersten Wahlgang? Viele Wählerinnen sagten es ganz offen: Pour faire barrage à Le Pen. Zu deutsch: um Le Pen zu stoppen (oder: abzublocken, aufzuhalten). Fast zwei Drittel derer, die gültig gewählt haben, wollten das. „Und das ist gut so.“ Aber gab es keine Alternative zu Macron als Lepenstopper? Es gab eine, und es gab eine andere Stoppaktion: Denn jede Gegenkandidatur gegen Le Pen wäre klar gewählt worden, also auch der „Linkspopulist“ Jean-Luc Mélenchon. Aber der Kandidat des PS, Bênoit Hamon, verhinderte das, indem er seine aussichtslose Kandidatur nicht zurückzog. Also: Hamon faisait barrage à Mélenchon (stoppte Mélenchon) im ersten Wahlgang und entschied sich also für Macron als Lepenstopper. Das war der eigentliche Knackpunkt der französischen Präsidentschaftswahlen. Hamon begründete diese Fundamentalstrategie mit der Floskel: Es ist unmoralisch, strategisch zu wählen. Er hat sich damit den Tartuffeorden am Band verdient: Als ob nicht seine Haltung die wichtigste strategische Entscheidung des gesamten Prozesses gewesen wäre. Das vorab, und nun zu Macron.

KOLLEKTIVSYMBOLIK MARSCH!

Als Macron am Wahlabend seinen groß inszenierten Auftritt mit der Rede vor der Pyramide im Louvre zum Abschluss gebracht hatte, waren sich die TV-Kommentatorinnen einig: „Große Symbolik! Mythen der Republik! Wie Mitterrand, der die Pyramide des Louvre in Auftrag gab!“ Und immer wieder (ich hätte zählen sollen) die eine wiederholte Formel: „Der jüngste Präsident seit Napoleon.“ Genauer hätte man sagen müssen: Seit Napoleon Bonaparte, dem Ersten Konsul der Republik 1799-1804 (da krönte er sich selbst zum Kaiser, 1799 war er genau 30 Jahre alt).

Wirklich bemerkenswert verdichtete Kollektivsymbolik war Macrons Auftritt im Louvre: Obwohl sein Basissymbol bekanntlich der Marsch ist (En marche! dazu gleich mehr), kann man nicht sagen, dass er durch die Cour Napoléon des Louvre „marschierte“ – er „schritt“ vielmehr – ganz allein im Bild – drei Minuten schritt er (im Video und dann im Fernsehen) mehrere hundert Meter, aufgenommen von seiner künstlerischen Fotografin Soazig de la Moissonnière in Schwarzweiß, durch die Cour Napoléon auf die Pyramide des Louvre zu. Angekommen, sah man eine Perspektive, in der seine Gestalt den Umriß der Pyramide in der MITTE derartig füllte, dass sein Haar die Spitze des Gebäude zu erreichen schien.

SYMBOLIK DER PYRAMIDE

Und welche Symbolik diese Pyramide: Sie steht genau in der MITTE zwischen dem „linken Flügel“ (aile gauche) und dem „rechten Flügel“ (aile droite) des Louvre – einem wunderbaren Kollektivsymbol des parlamentarischen Spektrums einer Normaldemokratie. Dieses Spektrum von Links gegen Rechts, das wie Napoleon aus der Ersten Französischen Revolution stammt und das als Erster der junge Bonaparte mit seinem Brumaire-Streich von 1799 in eine MITTE aufgehoben hatte. Bekanntlich setzte sich in Frankreich aber immer wieder der „symbolische Bürgerkrieg Links gegen Rechts“ durch und verhinderte die „symbolische Gleichgewichtungswaage“ Links-Rechts-Mitte-Extreme mit Herrschaft einer Linken oder Rechten Mitte und ihrer Großen Koalition als  MITTE PUR wie in der deutschen Bundesrepublik. Macrons Programm ist: Endlich eine MITTE PUR für Frankreich: LE CENTRE, C’EST MOI! Deshalb achtete er darauf, dass jeweils symmetrisch Politiker von RECHTS und von LINKS zu ihm überliefen, und dass ihn der stets gescheiterte Kandidat eine CENTRE, Francois Bayrou, unterstützte (er wird als möglicher Premier gehandelt). All das also symbolisiert die Pyramide des Louvre perfekt auf doppelte Weise: durch ihre Position in der gesamten Anlage und durch ihre eigene symmetrische Gestalt mit mittlerer Spitze.

Hinzu kommen die historischen Konnotationen von PYRAMIDE in Frankreich. Als Napoleon 1799 putschte, kam er gerade zurück aus Ägypten, wo er an den PYRAMIDEN die symbolische Schlacht um den Orient gewonnen hatte („Soldaten! 3000 Jahre schauen euch zu!“). Bekanntlich zählen Metrostationen Napoleons Siege auf, darunter die Station PYRAMIDES. Das lernen die Kleinen in Frankreichs Schulen und identifizieren sich (warum auch nicht schließlich? „Napoléon, c’était quand même un grand bonhomme!“ – Napoleon, der war trotz allem ein großer Kerl). Ich stelle mir vor, dass ein Kleiner namens Emmanuel sich sehr stark identifiziert haben muss.

MARCHONS, MARCHONS – E  N    M  ARCHE!

Am Louvre und anderen von Napoleon III. gebauten oder restaurierten Gebäuden sieht man das „N“ im Lorbeerkranz. Und viele haben inzwischen gemerkt, dass „En Marche“, überall abgekürzt mit EM, auch bedeutet: E  mmanuel  M acron. Das kann nun wirklich kein Zufall sein. Während Macron durch die Cour Napoléon zur Pyramide „schritt“, ertönte Beethovens Lied an die Freude – oberflächlich die Europahymne – aber: Wer weiß nicht, dass Beethoven den Konsul Bonaparte bewunderte und ihm die Eroica widmen wollte? (Er soll das dann gestrichen haben wegen der Kaiserkrönung.) Also heißt diese Symbolik: Ich bleibe Konsul der Republik, ich werde nicht Kaiser. „Je protégerai la République!“ sagte er dann in der Rede („Ich werde die Republik verteidigen!“). Und nach der Rede kam die Marseillaise mit den berühmten Versen: „Marchons! Marchons! Qu’un sang impur abreuve nos sillons!“ (Marsch! Marsch! Soll unrein Blut unsere Ackerfurchen düngen!) – Auch das singen die Kleinen, was sie sich dabei vorstellen, weiß nur ihr Unbewusstes. Aber es war das Marschlied der Revolution, das Napoleon beibehielt, genauso wie er die Trikolore beibehielt. Denn schon er war der Kompromiss zwischen Revolution und autoritärem Rechtsstaat (Code Napoléon), schon er also war die MITTE PUR (man lese dazu ansonsten den „18. Brumaire des Louis Bonaparte“ eines gewissen Karl Marx).

WAS WIRD MACRON AUßER SYMBOLIK „LIEFERN“ KÖNNEN?

Aber Frankreich lebt nun nicht mehr im 18. und 19., auch nicht mehr im 20. Jahrhundert. Was heute wirklich „marschiert“, wird Globalisierung genannt, also der globale Radikalkapitalismus. Was heute in Europa wirklich „marschiert“, ist die geballte Kapitalmacht Deutschlands. Wird dieses Deutschland (seine wirtschaftlichen, politischen und militärischen Eliten) willens oder auch nur in der Lage sein, Macron zu erlauben, in großem Stil Keynesianismus zu betreiben? Bisher hat Macron seine Strategie ja geheim gehalten – es ist unklar, ob eine Dosis Keynesianismus überhaupt dazu gehört. Vielleicht will er nur die angeblich ja so erfolgreichen Schröder-Fischer-„Reformen“ in Frankreich einführen. Aber das wäre einfach zu spät. Am Ende könnte ein „Macron-Effekt“ wie ein „Schulz-Effekt“ verpuffen.

DENNOCH: DIE SYMBOLIK IST IM NORMALISMUS NICHT ZU UNTERSCHÄTZEN; MACRON SIMULIERT EINEN (UNMÖGLICHEN) POPULISMUS DER MITTE

Hollande wollte ein „normaler Präsident“ werden, was viel verspottet wurde. Tatsächlich geriet ihm jede seiner Normalitäten daneben. Macron präsentiert sich als große Ausnahme, als supernormal, im technischen Sinne also als „nicht normal“, heimlich als neues supernormales Genie vom Typ Bonaparte. Seine Gegner Le Pen und Mélenchon werden medial als „rechts- bzw. linkspopulistisch“ kodiert. Aber zweifellos ist Bonapartismus ein Vorläufer heutiger Populismen in Zeiten des Normalismus. Was Macron mit all seiner Symbolik zu simulieren sucht, ist also ein „guter“ POPULISMUS DER MITTE. Jedem Populismus der Mitte ist aber von vornherein der Zahn gezogen – und dieser Zahn heißt Antagonismus. Populismus will eine „wirkliche Alternative“ zum globalen Radikalkapitalismus (also entweder Schritte in Richtung sozialer Commons und Egalität, zuweilen kombiniert mit Souveränismus, der „rechts“ in Nationalismus/Rassismus umkippen kann). Gerade solche Antagonismen aber sind mit einer MITTE unvereinbar. Was also bleibt einem Populismus der Mitte außer der Homoehe? Was bleibt ihm insbesondere auf ökonomisch-sozialem Feld? Sehr wenig oder nichts. Umso mehr ist er auf Symbolik angewiesen. Aber auch Symbolik, auch Diskurs ist materiell, wie wir von Foucault gelernt haben. Die Begeisterung junger „Macronisten“, wie es inzwischen schon heißt, ist teilweise echt. Es ist eine (unbewusste) Begeisterung für Normalität. Was wollt ihr? Einfach nur ein normales Leben! Insbesondere auch die eingewanderte, zum Beispiel schwarze Jugend, die sich von Macron ihren Anteil an Normalität erhofft. Der Populismus von Trump und Le Pen erscheint zurecht als anormal – in ihm stecken fatale Antagonismen der Exklusion. Aber auch die „linken“, inklusiven, Antagonismen von Mélenchon machen dieser Jugend (auch genannt: Start-up-Jugend) Angst. Sie wollen ihren Anteil an Normalität – und sie sind fürs erste mit normalistischer Symbolik zufrieden. Macron wird diese Symbolik mit einer Personalpolitik des EinsLinks-EinsRechts sowie mit Vertreterinnen des „einfachen Volkes“ bedienen. Aber Symbolik wird sicher nur fürs erste reichen. Ruckreden ohne „Liefern“ werden nicht genügen.

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