v-träger-klartext aus schäubles mund: „unsere führungsverantwortung“

11. Jun 2011 / Die Bundestagsdebatte über eine Verlängerung des Griechenland-„Schirms“ vom 10.6.2011 war ein diskurshistorisches Ereignis. In diesem Blog (wie auch in der Zeitschrift „kultuRRevolution“ und in dem Roman „Bangemachen gilt nicht auf der Suche nach der Roten Ruhr-Armee. Eine Vorerinnerung“) geht es von Anfang an um den 3. Aufstieg Deutschlands zu einer der führenden Weltmächte und um die absehbaren Folgen, die das für Deutschland und für die Welt hat. In mündlichen Diskussionen haben besonders linksintellektuelle Freund/innen immer wieder die Köpfe geschüttelt. Deutschland strebe nicht mehr national nach einer globalen Führungsrolle, weil es in Europa und in die NATO integriert sei – so etwas wie einem neuerlichen deutschen Hegemonialismus sei deshalb von vornherein der Zahn gezogen und wir könnten das abhaken. „Empire“ sei supra- und postnational, nationaler Imperialismus sei „Geschichte“.

Dagegen geht dieses Blog davon aus, dass das realexistierende „Empire“ sich weiterhin aus nationalen Hegemoniemächten zusammensetzt, die gegenüber Dritten zusammenhalten, wobei es aber zuweilen auch untereinander deutlich knirscht (immer unterhalb der militärischen Ebene versteht sich). Das meint der Begriff „Welt-Junta“ in diesem Blog.

Wenn dem so ist, dann konnte es (und kann es) nicht verwundern, dass gerade in Deutschland dieses Thema der Welthegemonie ein Tabu war (und ist). Das gehört nicht auf offener Straße vor dem Volk beredet. Höchstens „kleine europäische Mittelmacht“ – und eben Europa, Europa – nicht Deutschland, Deutschland.

Es gibt aber einen Begriff, unter dessen feierlichem schwarzen Frack die Sache indirekt vor dem Volk verhandelt werden muss: Das ist die allerheiligste aller semantischen Kühe unseres mediopolitischen Diskurses, bei dessen Aussprechen wir alle wie in der Kirche romantisch glotzen und alle Rückfragen runterschlucken müssen: UNSERE VERANTWORTUNG, UNSERE VERANTWORTUNG, UNSERE GEWACHSENE VERANTWORTUNG. Deshab musste in der „Vorerinnerung“, deren Lektüre ihre Leser/innen mit Vergnügen auf die Höhe unserer (nicht) normalen Zeiten bringt, dieser zentrale Komplex satirisch simuliert werden in der Figur des V-TRÄGERS (VERANTWORTUNGS-TRÄGERS).

Was bedeutet es nun, wenn der V-TRÄGER sich Schäubles Mund ausleiht und im Bundestag V-Klartext redet? So geschehen in der Regierungserklärung zur Debatte über Griechenland am letzten Freitag. O-Ton Schäuble:

„Liebe Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind die stärkste Wirtschaft in Europa, und wir liegen – das ist das deutsche Schicksal – mitten in Europa. Daraus wächst unsere VERANTWORTUNG. WIR HABEN EINE FÜHRUNGSVERANTWORTUNG für Europa […]. Wir haben UNSERE VERANTWORTUNG ZUR FÜHRUNG […]. Wir müssen dieser VERANTWORTUNG gerecht werden, wir müssen Europa zusammen führen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist UNSERE VERANTWORTUNG.“

Damit ist UNSERE FÜHRUNGSVERANTWORTUNG laut und definitiv ausgesprochen: für Europa – aber zuvor in der gleichen Rede auch bereits unmissverständlich für die ganze Welt. Mit etwas mehr als 1 Prozent der Weltbevölkerung eine Führungsrolle für die Welt proklamieren: Wohin wird das „führen“? Demokratisch ist das nicht (denn da müsste die jeweilige Bevölkerungszahl zählen). Also ist es einfach „die stärkste Wirtschaft in Europa“, aus der die VERANTWORTUNG „erwächst“: „Marxismus“ pur!

Und wie reagierten SPD und Grüne? Warnten sie den V-Träger etwa vor seinem „3. Versuch“ (siehe die Simulation in „Bangemachen…“)? Sie klatschten der Proklamation UNSERER FÜHRUNGSVERANTWORTUNG vielmehr Beifall und kritisierten nur, Schwarz-gelb nehme UNSERE FÜHRUNGSVERANTWORTUNG nicht entschieden genug wahr! Und wie reagierten unsere großen Medien? Sahen wir etwa diese Passage in den Fernsehnachrichten? War das ein Thema in der großen Presse? Vielmehr Schweigen im Walde: das wären ja auch Perlen vor die Säue – das wäre „Populismus pur“. DAS IST SACHE ALLEIN DES V-TRÄGERS.

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