„wahrheitspresse dankesmesse!“?

7. Jan 2016 / Wenn Pegida nicht den Spruch „Lügenpresse halt die Fresse“ schreien würde, hätten gewisse selbstkritikresistente Kommentatoren der Leitmedien ihn erfinden müssen: Derart gelegen kommt er ihnen, um sich dahinter zu verschanzen und jede Kritik abzubügeln. Als ob es nur „Kritik“ aus der rassistisch-breivikistischen Ecke geben könnte! Sollen wir jetzt etwa Demos mit der Parole organisieren: „Wahrheitspresse Dankesmesse!“?

Das Pegidageschrei ist nicht nur wegen seiner rassistisch-breivikistischen Ausrichtung schädlich, sondern auch, weil es die Mainstreammedien, Leitmedien, tonangebenden Medien – wie immer man sie nennen mag – gegen eine zutreffende und äußerst notwendige Kritik abschirmt. Einige Beispiele:

Der Begriff „Mainstreammedien“ als solcher wird mit dem Pegidageschrei gleichgesetzt! Dabei handelt es sich um einen analytisch belastbaren diskurs- und medienwissenschaftlichen Begriff, der gut definierbar ist: Es geht um Selektion von Nachrichten und Meinungen nach dem Kriterium, ob sie gemainstreamt werden können, also ob sie zur jeweiligen politisch-kulturellen „Mitte“ passen. Diese „Mitte“ (alias „Verantwortung“) ist ein Formalismus, der „Inhalte“ aushebeln kann, wenn sie den „Entscheider-Eliten“ (Herfried Münkler) nicht passen. Ist der Afghanistankrieg der Bundeswehr etwa „Mitte“? Nach dem Formalismus der Mainstreammedien ja.

Ist die Versenkung Griechenlands in eine arme Dritte Welt mit Massenverelendung (über 3 Millionen ohne Krankenversicherung) durch das Diktat von Schäuble und Merkel etwa „Mitte“? Nach dem Formalismus der Mainstreammedien ja.

Ist es „Wahrheitspresse“, wenn unsere Leitmedien kein einzigesmal klarstellen, dass die angeblichen „Rettungsgelder“ für Griechenland einfach profitable Verlängerungen und Vergrößerungen der griechischen Staatsschulden sind, zu deren „Begleichung“ eine zur Inkassofirma erpresste und pervertierte Athener Regierung ihr bereits verarmtes Volk zusätzlich verelenden „muss“?

Ist es „Wahrheitspresse“, wenn die Tatsache nie erwähnt wird, dass die „Flüchtlingskrise“ zum erheblichen Teil eine direkte Folge der Berliner Versenkungspolitik gegen Griechenland ist? Weil Berlin solange nicht über die „Lawine“ (Schäuble) auf der Balkanroute reden wollte, solange Tsipras noch nicht „erfolgreich“ erpresst war? Denn wohin hätte Berlin die bereits im Sommer „aufgelaufenen“ 300000 oder mehr Flüchtlinge an den serbischen und ungarischen Grenzen nach den Regeln von Schengen-Dublin zurückschieben müssen? Nach Griechenland, das eben dieses gleiche Berlin gerade ins Massenelend versenkt hatte! Welches Medium hatte den Mut zu sagen, dass das „Herz“ gegenüber der Massenflucht über Griechenland bloß die Konsequenz der Herzlosigkeit gegen die Hälfte des griechischen Volks war? Dass also Schäuble selbst „die Lawine losgetreten“ hat?!

Oder ein anderes Beispiel: Ohne zu ahnen, wie interessant eine kleine, von dpa übernommene Meldung war, titelte die WAZ am 5.1.2016: „Weltmächte alarmiert über Nahostkrise“. Denn in dieser Meldung war zu lesen, dass Deutschland eine von fünf genannten „Weltmächten“ ist! Aha: Deutschland eine Weltmacht! Das stimmt natürlich, und zwar seit langem – aber haben unsere Mainstreammedien das jemals thematisiert? Haben sie, wie es ihre Pflicht gewesen wäre, die Verwandlung der kleinen europäischen „Mittelmacht“, wie sie sagten, in eine von fünf Weltmächten (und zwar die dritte oder sogar zweite), jemals als Frage gestellt? Ein Land wird Weltmacht, ohne dass seine Medien das zu bemerken vorgeben! Und jetzt ist Deutschland in alle Weltkrisen verwickelt, jetzt stuft es ganze europäische Länder wie Griechenland herunter und andere wie die Ukraine herauf – alles im toten Winkel der ach so „verantwortungstragenden“ Leitmedien. Spätestens die „Flüchtlingskrise“ zeigt nun, dass Deutschland als Weltmacht sich übernommen hat („imperial overstrech“) – aber nie wurde das Volk gefragt, ob es überhaupt Weltmacht werden will (mit gut 1 Prozent der Weltbevölkerung!) – weder von seinen „Volksparteien“ noch von seinen Leitmedien.

Dieses Blog folgt dem Prinzip, nichts überall Bekanntes zu doublen – sondern wichtige Entwicklungen zu verfolgen, die von den Mainstreammedien „übersehen“ werden. Ein Scrollen in diesem Blog zeigt, wie viele Entwicklungen das sind!  Und dabei fehlen noch enorm viel weitere.

Was zum Beispiel Griechenland betrifft, so wurde der appell-hellas.de und seine Binsenwahrheiten ausschließlich von Netzmedien wie NachDenkSeiten, telepolis und Berliner Gazette verbreitet, während sämtliche Mainstreammedien mauerten und ZeitOnline sogar ein fertiges Interview unterdrückte.

Ausführliche Medienanalysen zu Griechenland finden sich in Heft 69 der Zeitschrift Kulturrevolution (Klartext Verlag Essen) – siehe den vorigen Post.

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