ein land, das „nicht normal“ ist, muss seine hegemonie „ohne kraftmeierei“ managen!

5. Dez 2011 / Helmut Schmidt hat seine 92 Jahre in die Waagschale geworfen, um auf dem SPD-Parteitag eine „Geschichtsstunde“ zu halten. Er fing mit dem 30jährigen Krieg des 17. Jahrhunderts an, als nach seiner Philosophie Europas „Peripherie“ Europas „Zentrum“ (also Deutschland) überfallen hätte,  und endete mit den zwei Weltkriegen des 20., die er zu einem neuen „30jährigen Krieg“, wo das „Zentrum“ seine Revanche gegen die „Peripherie“ genommen hätte, verharmloste.

Er stellte fest: „Deutschland wird auf absehbare Zeit kein normales Land sein.“ Womit er meinte, das „die Peripherie“ immer noch nicht vergessen hat, dass deutsche Truppen (mit dem gleichen Eisernen Kreuz, das heute die Bundeswehr ziert) ganz Europa platt gemacht und zig Millionen Menschen umgebracht haben. Aber das hat er nicht vertieft. Was außerdem insbesondere fehlte, war die Geschichte, die er selbst gemacht hat: Zuerst (zusammen mit Willy Brandt) erfand er das „Modell Deutschland“ und fing damit an, die Leute hierzulande mit schwarz-rot-goldenen Plastiktüten vollzumüllen. Dann gründete er, nun bereits als Kanzler, 1975 die berühmten G 7 und hievte sein „Modell“ damit in die führenden Weltmächte, in die Welt-Champions-League. Seit damals macht Deutschland wieder auch ganz offiziell Weltpolitik, wobei Schmidts „Philosophie“ eine von „strategischem Gleichgewicht des Schreckens“ war, weshalb er für die Pershings eintrat.

Aber er folgte dabei der Parole der preußischen Aufrüstung zur Weltmacht unter Bismarck: „Mehr sein als scheinen“. Anders gesagt: Die Hegemonie in Europa und den „Platz an der Welt-Sonne“ tatsächlich durchsetzen, ohne verbal auf den Putz zu hauen wie Kaiser Wilhelm. Denn das hätte die „Peripherie“ alarmiert – und sie hätte „uns“ daran erinnert, dass wir „aus historischen Gründen“  keine „normale“ Hegemonialmacht sein können (sondern nur eine besondere, verheimlichte).

So erklärt sich Schmidts ständige Schizophrenie, die er mit dem coolen Gestus des hanseatischen „Machers“ managte. Denn wenn er auch in die Geschichte als der Kanzler eingehen wird, der Deutschland über die G 7 wieder zur Groß- und Weltmacht gemacht hat, so war er auch der, der im Wahlkampf 1980 gegen Strauß in der Essener Gruga mit dem pathetischen Ausruf „Wir Deutschen haben die Schnauze voll vom Schießen!“ noch einmal einen knappen Sieg errang (wenn ihm dann auch zwei Jahre später sein Partner Genscher den Dolch in den Rücken stieß).

Die Schnauzen-Parole (sein Aufstieg hatte ja als „Schmidt-Schnauze“ begonnen) richtete sich gegen die Forderung von Strauß, schon damals mit Kanonenbooten in den Golf gegen den Iran zu fahren. Zu früh! Und auch später kritisierte Schmidt deutsche Kriegsbeteiligungen auf dem Balkan und in Afghanistan – aber wer hatte die Bundeswehr entscheidend aufgerüstet? Verteidigungsminister Schmidt. Und wer hielt pathetische Reden vor feierlichen Gelöbnissen und behauptete dort, an die Soldaten gewandt: „Ihr könnt sicher sein, dass ihr niemals von diesem Staat in einen verbrecherischen Krieg geschickt werdet!“ (Während in Afghanistan die Killerdrohnen schwirrten.)

Auch jetzt wird an der Parteitagsrede (zu recht) kritisiert, dass sie widersprüchlich sei. Man lobt die philosophische Tiefe (und sicher war Schmidt der bisher intellektuellste Kanzler), aber wie soll Deutschland denn gleichzeitig auf „schädliche deutschnationale Kraftmeierei“ verzichten, „Solidarität mit der Peripherie“ üben und trotzdem seiner „Führungsverantwortung gerecht werden“?

So ist der spingende Punkt der Geschichtsstunde ein anderer: Als Deutschland nach Bismarck immer größer wurde (infolge seiner rasant wachsenden wirtschaftlichen und militärischen Stärke), da ging es nicht mehr ohne eine gewisse „Kraftmeierei“. Und heute hat die Große Krise es der Hegemonialmacht unmöglich gemacht, die Hegemonie weiter sozusagen auf Zehenspitzen auszuübern wie Schmidt es zu seiner Zeit gern gemacht hätte (von Zehenspitzen konnte natürlich auch damals keine Rede sein) – aber richtig: „Wir“ waren noch nicht wiedervereinigt, standen noch nicht militärisch in aller Welt, und „wir“ waren noch nicht der Krisen-Bewältigungs-Weltmeister mit dem stärksten „Wachstum“ (der Profite) in Schmidts G 7.

Und wenn er auch noch so sehr den Mund gespitzt hat (nicht nur beim Rauchen): gepfiffen hat er nicht – die Afghanistankonferenz hat er nicht erwähnt und den umgehenden Rückzug der Bundeswehr hat er nicht noch einmal gefordert. Dabei hätte er doch davor warnen können, dass Deutschland wieder dabei ist, einen 30jährigen Krieg zu führen (Karzai fordert 2014 + 10 und bietet der Bundeswehr Stationierung „für immer“ an!) In dem Punkt hat sich die Troika sicher vorher mit ihm abgesprochen: Stein(meier + brück) – Steinmeier der „Architekt“ des deutschen Afghanistankrieges und Steinbrück, der „die Kavallerie gegen die Indiander“ mobilisieren wollte (keine Kraftmeierei)? Und der vor allem Solidarität mit Sarrazin (deutsche „Peripherie“?) geübt hat. Und den Schmidt deshalb als nächsten Kanzler und als seinen geliebten Sohn empfiehlt.

In zwei Punkten hat Schmidt aber unbewusst und ungewollt die Wahrheit gesagt: 1. ist Deutschland tatsächlich kein normales Land, weil keine Kriegs- und Weltmacht normal sein kann: Oder ist die Weltpolitik der USA „normal“? 2. Das mit der „Peripherie“ – damit sind in der Entwícklungsforschung die in Abhängigkeit und Unterentwicklung gehaltenen Länder gemeint. In der Normalismustheorie unterscheidet man 5 Normalitätsklassen. Und gerade werden tatsächlich die südeuropäischen Länder von der 2. in die 3. Normalitätsklasse „runtergestuft“ – sie werden tartsächlich definitiv Peripherie und haben deshalb kein Anrecht mehr auf soziale Sicherungen – sie dürfen nicht länger „über ihre Verhältnisse leben“. Und dagegen schickt Steinbrück die Kavallerie der 1. Klasse, und das kommentiert Helmut Schmidt mit: „Er kann es!“

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