20 Jan er reitet weiter auf fliegendem teppich – eine eher orientalische leistung! (mit einem urgent call für den 27.1.)
20. Jan 2011 / Welch einen Aufruhr hat der alte Goethe mit seinem „Divan“ bei den Sarrazinen-Kreuzrittern und -Kreuzritterinnen ausgelöst! Und welche Prügel bekommen sie! Inzwischen spricht die Fatz von einer „Wulff-Sarrazin-Hübsch-Kelek-Link-Frühwald-Lehr-Debatte“ und bringt dazu heute (20.1.) einen weiteren Beitrag.
Worum ging es denn eigentlich? Um die Frage, ob Goethes „Divan“ eher „islamophob“ oder eher „islamophil“ gelesen werden muss. Die erste These vertritt Sarrazin und sein Anhang. Inzwischen ist er mit überwältigendem Faktenmaterial (Text und Kontext Goethes) widerlegt – der Fakten-Boden unter seinem Teppich (auf den er als „Statistiker“, wie er sich auf BBC definierte, so stolz ist) ist schlicht weg. Und dennoch reitet er einfach weiter – offensichtlich auf einem fliegenden Teppich – eine eher orientalisch-akrobatische Leistung.
Die wichtigste Formel meines eigenen Beitrags zur Debatte (Fatz vom 13.1.) hieß „Weder-noch“ (Leser meines Romans kennen die Formel WNLIA = Weder noch lieber irgendwie anders). Weder kann man das berühmte Zitat, in dem der Dichter des „Divans“ vor aller Öffentlichkeit als „Dichter“ (!) „den Verdacht nicht ab[lehnte], daß er selbst ein Muselmann sey“ (Cottas „Morgenblatt“ 24.2.1816), als Dokument der „Bekehrung“ deuten (weil „Islam“ für Goethe, verkürzt gesagt, Symbol für seinen Neo-Spinozismus war) – noch aber bleibt bei diesem Zitat (das ein „Fakt“ ist) sowie bei dem gesamten übrigen Text und Kontext Goethes zum Islam auch nur die allergeringste Berechtigung für die Islamophobie-These übrig.
Aber er reitet weiter, weil er immer recht hat, wie es einmal in der SED-Hymne hieß. In einem Leserbrief (Fatz 19.1.) gegen den Beitrag von „Link“ geht er natürlich wieder nicht auf das Zitat aus dem „Morgenblatt“ ein, das offensichtlich für ihn kein „Faktum“ ist, weil „nicht sein kann, was nicht sein darf“, wie dieser Statistiker messerscharf schließt. (Offensichtlich behandelt er dieses Faktum als „Ausreißer“, so wie einen Milliardär unter lauter Habenichtsen bei der Bestimmung des „normalen“ Lebensstandards: einfach streichen.) In diesem Sinne verteidigt er auch seine Unterdrückung eines Halbsatzes aus den „Noten und Abhandlungen“ mit seinem Recht auf eine „Auswahl“. Dass er das so sieht, ist seine Sache – der viel größere Skandal ist, dass ein solcher Denker momentan bei Millionen von Deutschen als Inbegriff deutscher Wissenschaft läuft und geradezu religiös verehrt wird. Man lese den Abschnitt „Mahomet“ in den „Noten und Abhandlungen“ über den Typ des Propheten: „er muß also eintönig werden und bleiben, denn das Mannigfaltige glaubt man nicht, man erkennt es.“ So etwas wählt dieser Leser natürlich nicht für sich aus.
Um den Satz über den Koran noch einmal zu zitieren: „Der Stil des Korans ist seinem Inhalt und Zweck gemäß streng, groß, furchtbar, stellenweise wahrhaft erhaben […].“ S. verteidigt das Weglassen des Halbsatzes „stellenweise wahrhaft erhaben“. Das „furchtbar“ sei das Entscheidende. Er sei zwar kein Philologe, aber Goethes Deutsch verstehe er sehr gut. Und kennt doch nicht die goethezeitliche Debatte über das „Erhabene“ (o Kant und deutsche Leitkultur!) und weiß nicht, dass „furchtbar“ in diesem Kontext sich auf die „Größe“ von Urpoesie im Sinne Herders bezieht – und keineswegs identisch ist mit dem gleichen Wort auf Sarrazin-Deutsch, wenn es heißt: „diese Selbstmordattentate sind furchtbar!“ (Muss ich sofort wieder hinzufügen: Weder-noch?)
Weshalb all das noch einmal klarstellen? Weil dieses Eingeständnis des „Rechts auf Auswahl“ nicht nur für Goethe gilt, sondern auch für Sarrazins Fachgebiet, die Statistik: Auch in deren Tradition und bei deren Daten „wählt er aus“ – und zwar brutal. Ohne das wirklich reflektieren zu können, versteht er „Auswahl“ imgrunde im Sinne einer darwinistischen „Selektion“: Überzeugt, für „Deutschland“ zu kämpfen, „selegiert“ er frisch drauflos in diesem Sinne.
Weil der Statistiker, Humangenetiker, Intelligenz- und Zwillingsforscher sowie Demograf S. tatsächlich viel wichtiger ist als der Reiter auf fliegendem Divan, deshalb hier nochmals ein
Urgent Call für die Lesung aus meinem Roman „gegen den vorerinnerten Sarrazin“ am 27.1., 18 Uhr, an der Uni Essen.
Wer sich hier irgendwie „engagieren“ möchte, ist nochmals herzlich dazu eingeladen (auch dazu, Leute mitzubringen).