krisenlabor griechenland – die „zerschlagung“ der x.a. im kontext der denormalisierung: wie wird sich das monstrum verwandeln?

10. Okt 2013 / Folgt man den markigen Erklärungen der Regierung der Großen Koalition Samaras-Venizelos an Orten wie Washington und Jerusalem, dann ist diese Regierung entschlossen, die faschistische X.A. zu „zerschlagen“. Tatsächlich sieht es so aus, als würde zumindest die Parlamentsfraktion des Monstrums (18 Abgeordnete) bald verschwunden sein, wenn nicht sogar die ganze Partei. Gegen die Mehrzahl der Abgeordneten, einschließlich des „Führers“ Michaloliakos, wird wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt. Was eigentlich alle wussten, wird nun mit Zeugenaussagen belegt: Das Führerprinzip, die Bildung von paramilitärischen „Sturm-Abteilungen“, ihr „professionelles“ Training durch professionelle Militärs, die Angriffe auf Flüchtlinge und Einwanderer sowie Antifaschisten, bis hin zu einer Dunkelziffer von systematischen Fememorden. All das war bekannt, aber nun sprudeln mit einemmale die Quellen der Dienste, besonders des EYP (Nationaler Nachrichten-Dienst): Bis zu einem Dutzend „geschützter Zeugen“ packen vor den Untersuchungsrichtern aus (und die Protokolle ihrer Aussagen werden sofort im Wortlaut den Medien zugespielt). Es dürfte sich teilweise um IMs handeln, teils auch um X.A.-Leute, die „kalte Füße bekommen haben“. Ihre Aussagen belasten die gesamte straffe, nach Führerprinzip organisierte, Hierarchie von ganz oben bis ganz unten. Es geht um Überfälle, einschließlich Morden, illegalen Waffenbesitz, illegale Finanztransaktionen, Geldwäsche usw.

Warum jetzt mit einemmale, obwohl all das seit 2 Jahren bekannt war, weil die Fasci (paramilitärische Männerbünde) der X.A. sehr offen handelten (obwohl sie nun, nach alter faschistischer Tradition, alles abstreiten wie die Nazis in der Weimarer Republik)? Erstens weil der Fememord am „griechischstämmigen“ antifaschistischen Rapper Pavlos Fissas einen landesweiten Proteststurm auslöste, den die Regierung nicht mehr ignorieren konnte. Zweitens aber auch, weil die Regierung ab Januar den EU-Vorsitz bekommt und die Straßen bis dahin frei haben möchte von marschierenden und schlagenden Neonazihorden. Drittens, weil sie sich in ihrer Krisennot an einen Erdöl- und Erdgasdeal mit Israel klammert, der ebenfalls kaum mit den Fasci der X.A. vereinbar erscheint.

Obwohl nun die markigen Worte von „Zerschlagen“ nach Blitzschlagtaktik (einer ziemlich typisch faschistischen Taktik!) aussehen, läuft die Aktion nicht ohne Probleme und Kollateralschäden für die Regierung selber ab:

Erstens erweist sich das Krisenlabor Griechenland auch beim Neofaschismus als ein „klassischer“ Fall, der Grundstrukturen jedes Faschismus offenlegt, und allen voran die Tatsache, dass es keine parastaatlichen Fasci ohne innerstaatliche Fasci gibt (was bei Militärjuntas bloß evident wird, wenn sich beide Sorten von Fasci vereinen). Im Zuge der „Zerschlagung“ der X.A. lässt es sich daher nicht vermeiden, einige Beziehungen der X.A. zu innerstaatlichen Fasci-Zellen („Taschen“, wie man in Griechenland sagt) aufzudecken. So wurden die „Chrisavgites“ regelmäßig vor Polizeikontrollen aus der Polizei heraus gewarnt; so griffen anwesende Polizeieinheiten bei Überfällen der Faschisten fast niemals ein; so waren darüber hinaus bei den meisten Überfällen Polizeielemente aktiv im Spiel (von den Diensten ist nicht die Rede: sie sind ja geheim – wie die deutschen Dienste im Fall NSU); so wurden die Sturm-Abteilungen von „Reservisten“ aus MAT (Antidemonstrations-Spezialpolizei) und Armee trainiert – so befolgten diese Fasci bei ihren Angriffen exakt die Taktik der MAT mit zwei Linien („Kerberi“ = Zerberusse, und „Pyrgi“ = Türme). Insbesondere waren auch beim Fememord an Pavlos Fissas Polizeikräfte im Spiel, von denen einer noch nach dem Mord behauptete, es sei „alles wieder ruhig und normal“. Es ist klar, dass die Regierung diese Enthüllungen möglichst „eindämmen“ muss und sie als „Einzelfälle“ und „Pannen“ relativieren möchte (das ist ja auch hierzulande nicht neu). Jedenfalls kann von einer „Zerschlagung“ der X.A.-„Taschen“ in Polizei und Armee selbstverständlich keine Rede sein.

Zweitens soll insbesondere auch die Frage aus dem vorvorigen Blogpost unbeantwortet bleiben: Woher hat die X.A. ihr Geld?

Drittens (und viel grundsätzlicher) droht die Zerschlagung der X.A. das normale Spiel des politischen Systems Rechts-Links-Mitte-2 symmetrische Extreme empfindlich zu stören. Diese „Gefahr“ ist Samaras und Venizelos sehr bewusst und sie bemühen sich bereits jetzt nach Kräften, eine symmetrische „Zerschlagung“ beim „linken Extrem“ einzufädeln. Konkret möchten sie die kulturrevolutionären Protestbewegungen nach dem Modell Tahrirplatz (in Griechenland die große Besetzung des Syntagmaplatzes durch die „Empörten“ im Jahre 2011 ) und ähnliche Bewegungen „terroristifizieren“. Also sollen alle „verbotenen“ Demos und Besetzungen als „Terror“ definiert und Kontakte von Parteien wie Syriza zu diesen Bewegungen gleichgesetzt werden mit der Agitation der X.A.-Fraktion.

Viertens möchte die Regierung am liebsten jede Aktivität gegen das „Mnimonio“, d. h. das Spardiktat der Troika aus IWF, EU und EZB, als „extremistisch“ (mit Konnotation: „terroristisch“) verteufeln. Deshalb ist nicht die Rede davon, dass die X.A. ihre Stimmen bekam, weil sie demagogisch gegen das Mnimonio agitierte. Die Regierung denkt nicht daran, ihre eigene Spardiktatur unter dem souveränen Diktat der Troika, mit den Folgen Lohn- und Rentenkürzungen um bis zu 50 Prozent, Massenarbeitslosigkeit, Verelendung durch Sondersteuern, Ausschluss von Millionen Menschen aus der Krankenversorgung als „extremistisch“ zu bezeichnen. Sie ist es aber – genauso wie die blitzschlagartige Schließung des öffentlichen Senders ERT. Es sieht so aus, als ziele die „Zerschlagung“ der X.A. darauf ab, der Regierung der Spardiktatur das Monopol auf Blitzschlag-Aktionen zurückzuholen. Trotz all ihrer Machtmittel wird die Regierung es dennoch nicht leicht haben, den Mord an Pavlos Fissas, einem radikalen Gegner der Mnimonio-Politik, umzufunktionieren in ein Fanal gegen jeden Widerstand gegen eben diese.

Um den strukturellen Zusammenhang zwischen Krisendynamik, Denormalisierung und verschiedenen Formen von Notstandsdiktaturen analytisch zu begreifen (und das besonders auch am Musterfall des „Krisenlabors Griechenland“) empfehle ich zur Lektüre mein neues Buch „Normale Krisen? Normalismus und die Krise der Gegenwart. (Mit einem Blick auf Thilo Sarrazin)“ Konstanz University Press (19,90 Euro).

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