01 Sep „migrantinnen und migranten“: in diesem zeichen können sie nur verlieren
1. Sep 2010 / Nun verteidigen sie ihre „Migrantinnen und Migranten“ gegen Sarrazin, unsere Migrantinnen- und Migranten-Forscherinnen und -forscher, verliebt wie sie sind in ihren Begriff „Migrantinnen und Migranten“. Der klingt ja auch so wissenschaftlich, genau wie Repräsentant und Signifikant. Damit kann man vielleicht sogar Exzellenz werden, mit der Migrantinnen- und Migrantenforschung, insbesondere der Migrantinnen- und Migranten-Kinder-Defizite-Forschung. Bloß: Warum kommt das bei „den Menschen“ (Angela Merkel) irgendwie schlecht an und wirkt vielleicht sogar wie Wasser auf Sarrazins Mühle?
Weil es die Anten in der deutschen Sprach-, Diskurs- und Kulturgeschichte so in sich haben. Im Prinzip ist die Endung natürlich ganz harmlos: abgeleitet per Analogie aus dem Latein bzw. aus romanischen Sprachen, im Prinzip wie Student. Im Prinzip eben oft wissenschaftlich (spezialdiskursiv). Aber wie die Kontingenz gerade auch in der Sprachgeschichte so spielt: Im Deutschen haben die Anten seit langem, seit den Vaganten und (ursprünglichen) Protestanten, zunehmend einen ausgrenzenden und negativen Beigeschmack bekommen. Man muss das ganz statistisch sehen. Es handelt sich um typische, auszugrenzende Gruppen:
1. die Alltags-Anten: Bummelanten, Denunzianten, Dilettanten, Ignoranten, Intriganten, Mogelanten, Mutanten, Pedanten, Querulanten, Schmieranten, Simulanten, Simultanten (ganz neu), Spekulanten, Trabanten.
2. die psychiatrisch „Devianten“: Deliranten, Denunzianten, Flagellanten, Halluzinanten, Intriganten, Komödianten, Konfabulanten, Masturbanten, Querulanten, Simulanten, Skrupulanten, Suizidanten.
Ich überspringe die juristischen und unmündigen Anten und komme 3. zu den politischen/rassistischen: Degeneranten (AH in „Mein Kampf“), Devianten, Diversanten, Kapitulanten, Kollaboranten, Militanten, Minusvarianten, Optanten, Sympathisanten.
Und 4. zu den Minderheiten, darunter unseren „Migrantinnen und Migranten“: Assimilanten, Asylanten, Emigranten, Exulanten/Exilanten, Immigranten – MIGRANTEN.
Assimilanten wurden die „Westjuden“ genannt, bis zur Vergasung (im doppelten Sinne). Asylanten klang (so spielt der Zufall aus Deutschland) ganz ähnlich , bis sie durch die GG-Änderung erheblich weniger wurden.
Aber da sprangen rechtzeitig die MIGRANTINNEN UND MIGRANTEN in die Bresche – und wurden durch die Migrantinnen- und Migranten-Forscherinnen und -forscher besonders als wissenschaftlich geadelt. Man überlege mal: Ab der wievielten Generation hören Migranten mit deutscher Staatsangehörigkeit bzw. mit Aufenthalt in Deutschland eigentlich auf, solche zu sein? Und warum sind „deutschstämmige Spätaussiedler“ (jedenfalls in den meisten Kontexten) keine Migranten? Der semantische Effekt ist jedenfalls klar: MIGRANTEN sind jene Menschen, die ewig „migrieren“, weil „wurzellos“, ewig „zwischen den Rassen“ (Heinrich Mann), immer markiert als „nicht zur WIR-Gruppe zählend“. Warum scheut der „deutsche“ Diskurs die sehr deutschen Signifikanten EINWANDERER UND EINWANDERINNEN wohl so sehr? So sehr, dass er selbst dort, wo er ein deutscheres Wort als „Migranten“ vorzieht, pedantisch und skrupulantisch „Zuwanderinnen und Zuwanderer“ sagen muss? (Während er Auswanderer glatt über die Zunge bringt – und nicht etwa Abwanderer sagen muss.)
Etwas theoretischer gefasst: Die Anten gehören diskurshistorisch zum Protonormalismus, d.h. zu jener Auffassung von „Normalität“, die auf starren Grenzen von Normalitäts-Klassen auch innerhalb einer „Population“ beruht. (Ausführlich dargestellt im „Versuch über den Normalismus“.) Also genau zu jener Spielart des Normalismus, für die Sarrazin plädiert, deren Wiederbelebungs-Manifest er gerade publiziert hat. Wenn irgendeinem, dann passen ihm die MIGRANTINNEN UND MIGRANTEN glatt ins Konzept – egal ob gegen oder „für“ sie plädiert wird.