people’s power in ägypten und das „gelbe grinsen“ unserer stabildemokraten

12. Feb 2011 / Im Französischen gibt es einen nicht ins Deutsche übersetzbaren Ausdruck: das „gelbe Lachen“ (rire jaune), womit eine erzwungene äußerliche Freudenbekundung gemeint ist, der innerlich eine Frustration und eine Wut entsprechen. Solch „gelbes Grinsen“ über den ersten großen Sieg der ägyptischen Revolution an ihrem Tag 18 konnten wir bei vielen unserer Stabildemokraten beobachten. Natürlich freuten sie sich alle, wie sie sagten, aber kurz danach (bei manchen direkt danach) begannen ihre immer dickeren „Aber“. Muss uns denn nicht ein Volk größte Sorgen machen, das People’s Power erzwungen hat, das „aber“ zu über 50 Prozent von Hartz IV leben würde, wenn es in Ländern „da unten“ Hartz IV gäbe? (Anders gesagt: ein Volk der 4. Normalitätsklasse.) Das „aber“ keine „normalen“ und „verantwortlichen“ Oppositionsparteien und keine „charismatischen und verantwortlichen Oppositionsführer“ besitzt? Für das eine Präsidialverfassung nach USA-Modell (statt zumindest eine parlamentarische Verfassung wie in Deutschland) noch gar nicht ausgemacht ist? Das „aber“ offensichtlich mehr in Richtung Volldemokratie statt in Richtung einer „stabilen Normal-Demokratie“ tendiert?

Was ist der Unterschied? Volldemokratie im Sinne sowohl von inhaltlicher Demokratie wie von Basisdemokratie (Vollversammlungs-Demokratie) ist sicherlich ein schwer zu erreichendes Ideal (eine „Utopie“, würden die Stabildemokraten sagen – aber eine „konkrete Utopie“, wäre ihnen zu antworten). Dennoch taucht dieses Konzept in mehr oder weniger deutlicher Form in allen großen Volksrevolutionen seit dem 18. Jahrhundert immer wieder auf. Jetzt auch wieder am Nil. Wenn die Besetzer des Tahrir-Platzes ununterbrochen von den Medien gefragt wurden, wer ihr „Leader“ (Führer) sei – ob dieser oder jener Blogger -, dann war die ständige Antwort: Wir haben keinen Führer und brauchen auch keinen, uns geht es um inhaltliche Entscheidungen, die beraten wir kollektiv und fällen sie demokratisch. Also inhaltliche Demokratie. Wie es eine Specherin sagte: Uns ist es egal, welche Person jetzt an der Spitze des Militärrates steht, uns geht es um die Inhalte: Aufhebung des Ausnahmezustands, Freilassung aller politischen Gefangenen, Annulierung der Mubarak-Verfassung und des Mubarak-Parlaments – egal von welcher Person verkündet.

Das kann allerdings unsere Stabildemokraten nur mit größter Sorge erfüllen: Das hieße ja, dass bei uns die Basis über Stuttgart 21 usw. entscheiden dürfte! Das hieße ja, dass die Frage nicht mehr wäre, ob Schröder oder Merkel den Afghanistankrieg führt, sondern ob er geführt oder nicht geführt wird! Das würde ja mindestens bedeuten, dass wir keine Parteien mit Fraktionszwang mehr hätten, also keine Stabilparteien mehr. Das bedeutete konkret, dass der Fraktionszwang nicht ausnahmsweise bei Bonn/Berlin bzw. bei PID, sondern am Ende bei einer Frage wie Krieg oder Frieden aufgehoben werden könnte – oder dass es dazu gar eine Volksabstimmung geben müsste. Wo das und alle ähnlich wichtigen inhaltlichen Fragen doch in einer Stabildemokratie nicht das Volk, sondern verantwortliche Experten entscheiden. Die auch das Monopol auf die Massenmedien haben müssen (Modell Anne Will).

Nicht zu reden von Problemen der Ausbeutung und vom Problem der Wirtschaftsdemokratie, also von den Geschäften des V-Trägers höchstpersönlich. Das muss in einer Stabildemokratie alles „verantwortlich“ im Sinne des V-Trägers vorweg-entschieden sein, sonst droht „Chaos“.

Die Forderung nach Volldemokratie schließt also immer das Risiko ein, dass eine im Sinne des V-Trägers „verantwortliche“ und „stabile“ Regierung der „Mitte“ nicht zustande kommt. Also keine „normale“ Demokratie (im Sinne einer symbolischen Quasi-Normalverteilung mit vorherrschender linker und rechter „Mitte“ und kleingehaltenen „Extremen“). Also „Chaos“. Sogar bei uns in der 1. Normalitätsklasse besteht dieses Risiko.

Und nun in einem Land der 4. Normalitätsklasse mit völlig schiefer Verteilung des Lebensstandards (Mehrheit auf Hartz-IV-Niveau und weit darunter). Kein Wunder, dass die Freude unserer Stabildemokraten „gelb“ ist. Was, wenn das Volk „da unten“ „unsere Hilfe beim Aufbau stabiler Parteien“ ablehnen sollte? Kommt dann die Mubarak-Gleichung wieder zu Ehren, die ja lautete: Stabilität in einem Land niedriger Normalitätsklasse gleich Stabildemokratie minus Demokratie?! Weil sie innerlich von der Richtigkeit dieser Gleichung überzeugt sind, ist die Freude unserer Stabildemokraten so „gelb“.

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