sarrazin? dazu jetzt definitiv die „zwillingsgeschichte zwillingsforschung“ lesen!

30. Aug 2010 / Für Leserinnen dieses Blogs gibt es zu Sarrazin ja wirklich nichts Neues (siehe Einträge vom 13.8.2010 und den ausführlichen vom 8.10.2009). Schirrmachers überwiegend kluger Kommentar in der FAS vom 29.8. 2010 zeichnet die Archäologie der lärmenden S-Diskursblase korrekt als mehr als hundertjährig alt und abgekupfert nach, als ob Schi. dieses Blog oder den „Versuch über den Normalismus“ gelesen hätte: Stichworte Galton, Herrnstein-Murray, Zwillingsforschung, IQ-Theorien, kritisch dazu Stephan Gould usw. Die uralten Kamellen der endlosen Nature-Nurture-Geschichte: ob fifty-fifty oder eighty-twenty usw. Die monozygoten Zwillinge usw. Natürlich darf heute das „Gen“ („das hat der S. nun  mal in den Genen!“) statt des galtonschen „gemmule“ nicht fehlen, einschließlich des Juden-, Deutschen- und Türken-Gens. S. wird sich gegen den Vorwurf des Antisemitismus verteidigen: Er hat schon in dem Lettre-Interview betont, dass das Juden-Gen einen höheren IQ (nicht niedrigeren wie das Türken-Gen) als selbst das durchschnittliche Deutschen-Gen impliziere: so what?

Wenn Schi. allerdings mit dem korrekten Hinweis auf den angelsächsischen Ursprung der gesamten Debatte folgert: Rassismus sei das keineswegs, so scheint er „demokratischen“ Rassismus per se für unmöglich zu halten: Genau den gibt es aber! Nicht nur in Deutschland, auch in den USA und in Schweden wurden „Minderwertige“ in den 1920er und 1930er Jahren aus „eugenischer Indikation“ sterilisiert – ganz „demokratisch“.

Bekanntlich sagte Karl Kraus 1933 mit makaber-sarkastischer Ironie, ihm „falle zu Hitler nichts ein.“ Damit meinte er, das Thema sei zu ernst, um mit journalistischen „Einfällen“ (wie sie jetzt wieder zu S. ins Kraut schießen) „bewältigt“ zu werden. (Er schrieb ja dann den großen Essay, in dem er „den Fußbreit Leben, zwischen Phrasen und Gasen“, zu verteidigen suchte – bekanntlich erfolglos: Nach den Phrasen kamen die Gase.)

So gefährlich ist die durch S. markierte Lage sicher nicht. Wir sind nicht auf makaber-sarkastisches Lachen zurückgeworfen, wir können noch ganz heiter und schallend lachen über diesen S. , der ganz offensichtlich überzeugt ist, ein Genie-Gen zu besitzen, weil er einige mittelschwere Statistik-Kurse erfolgreich überstanden hat. Das ist „definitiv“ der Moment für alle, die es noch aufgeschoben haben, das Kapitel „Zwillingsgeschichte Zwillingsforschung“ aus dem Roman „Bangemachen gilt nicht auf der Suche nach der Roten Ruhr-Armee. Eine Vorerinnerung“ (asso-Verlag Oberhausen, S. 255-281) zu lesen. Dort ist der Fall S. mit dem Genie-Gen eines Zwillingsforschers haarklein vorerinnert, und schallendes Lachen ist garantiert. Es ist gleichzeitig ein aktueller Einstieg in die Lektüre dieses angeblich „schweren“ Romans: Man kann doch einfach mit den satirischen Zwillingsgeschichten anfangen.

Tags: